Kapitel 41

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Kapitel 41

„Hey!", rief Kieran mir plötzlich hinterher und ich blieb überrascht stehen. Was wollte der denn jetzt noch? War nicht alles geklärt? Er wusste doch selbst, dass es besser für ihn war, nicht nachzufragen, für was Liam und ich die unfähige Jägerin brauchten. Aber anscheinend hatte er es sich doch anders überlegt. Kieran joggte auf mich zu und blieb vor mir stehen. Eingehend beobachtete er mich. „Wofür braucht ihr die Jägerin?" Ich erkannte Misstrauen in seinem Blick. Berechtigt. Kieran trat drohend näher an mich heran. Auch wenn er mich faszinierte, würde er nicht aufpassen, würde er als eisgekühltes Chamäleon zurückbleiben. Wenn ich etwas nicht mochte, dann war es, wenn jemand mir drohte. Oder es zumindest versuchte. „Das geht dich nichts an!", zischte ich und wollte mich schon von ihm abwenden und gehen, doch da schnellte seine Hand vor und umschloss mein Handgelenk, womit er mich zum Stehenbleiben zwang. Scharf sog ich die Luft ein. Das wagte er nicht! Wut brodelte in mir auf und langsam drehte ich mich ihm wieder zu. Anscheinend sah er die Wut in meinen Augen funkeln, denn sein Gesichtsausdruck wurde weicher. Dennoch ließ er mein Handgelenk nicht los. Nein. Er verstärkte nur seinen Griff und war dabei noch vollkommen ruhig. „Und ob es mich was angeht. Das, was auch immer ihr tut, kann für mich gefährlich werden. Und das kann ich auf gar keinen Fall gebrauchen.", sagte Kieran. „Und ich möchte vielleicht auch ein bisschen länger leben. Solltest du auch versuchen." Er sah mir in die Augen. Ich sagte kein Wort. Presste bloß meine Lippen fest aufeinander, um keine unpassende Bemerkung zu machen, die dann auch noch Kieran zur Weißglut treiben würde. Ein wütender Mutant reichte. Und in diesem Falle war das ich. „Ich weißt nicht was ihr tut, aber es veranlasst die Jäger länger hier zu bleiben.", fuhr Kieran fort und ich meinte, Besorgnis in seinem Blick zu sehen. „Normalerweise bleiben sie nie länger als nötig an einem Ort. Meist sind sie nach ein zwei Tagen wieder weg, damit sie keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen und sich somit auch ihr Überleben sichert." Meine Wut verschwand mit jedem Wort, das Kieran sprach. Woher wusste er das alles? Im Fernsehen wurde nicht viel über die Jäger gesprochen. Weder über ihr Verhalten, noch über ihre Vorgehensweise. In den Nachrichten riefen sie bloß immer dazu auch, sofort die örtliche Polizei zu benachrichtigen, sollten sich Jäger zeigen. Woher also wusste er, wie lange die Jäger normalerweise blieben?

„Wieso also sind diese Jäger noch hier? Und wieso sind wir noch nicht tot? Sie müssten doch bereits alle Informationen haben.", Kierans Stimme war energischer geworden. „Wann wir nach draußen gehen und sie uns am schnellsten töten können. Vielleicht wären sie auch einfach schon weitergezogen, weil es in ihren gefährlichere Mutanten gibt als uns und diese zu aller erst getötet werden müssen." Er unterbrach sich selbst, holte einmal tief los, ehe er mich wieder ansah. Ich verschwieg lieber, dass es für die Jäger, wie auch für Ambrosia keinen gefährlicheren Mutanten gab, als den, mit der Nummer 93. Mich. Und dummerweise hatte Liam genau diese Zahl vor Brenda genannt, als er über mich sprach. Brenda musste doch bemerkt haben, dass diese Information für sie und die anderen Jäger wichtig war. Und ich würde wetten, dass Ambrosia damals Akten über jeden einzelnen geführt hatte. Also wäre es für die Jäger auch nicht unmöglich an Informationen über mich zu kommen, da Ambrosia auch mit den Jägern, die nicht zu ihnen selbst gehörten, kooperierten.

Kierans Griff an meinem Handgelenk wurde wieder fester und seine Miene düsterer. „Ich will da nicht mit reingezogen werden! Ich will nicht, dass sich die Aufmerksamkeit der Jäger auf mich zieht!", zischte er mir nun zu. „Ich weiß nicht wie es bei dir ist, aber ich hänge an meinem Leben! Auch wenn es ziemlich beschissen ist." Ich konnte ihn verstehen. Das konnte ich wirklich. „Du wirst nicht mit reingezogen werden.", versicherte ich ihm. „Das verspreche ich." Kieran schnaubte. „Ja klar.", sagte er verächtlich. „Du wirst es nur nicht verhindern können, wenn es doch so ist."

„Du unterschätzt mich.", bemerkte ich kühl und hätte am liebsten meine Arme vor meiner Brust verschränkt, doch da Kieran noch immer mein Handgelenk festhielt, ging das nicht. Ich würde Kieran nicht mit in Liams und meine Sache reinziehen. Es ging nur Liam und mich etwas an. Und sollten die Jäger durch uns tatsächlich auf Kieran aufmerksam werden, würde ich zu verhindern wissen, dass die Jäger sich ihm auch nur näherten. Das war ein Versprechen. Anscheinend bemerkte Kieran die Ernsthaftigkeit in meinen Worten, dass er seufzte. „Okay. Ich vertraue darauf, dass du dein Versprechen hältst.", sagte er, doch dann wurde seine Miene wieder düster. „Lass mich das nicht bereuen."

„Wirst du nicht.", versicherte ich ihm.

„Hoffe ich für dich.", meinte Kieran nur. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen, woraufhin ich ebenfalls ein Grinsen auf Kierans Lippen erblickte. Wir schienen beide nicht zu wissen weshalb wir grinsten, also beließen wir es einfach dabei. Nun ließ er mein Handgelenk los und trat einen Schritt zurück. „Lass es mich nicht bereuen.", wiederholte er leise seine Worte, ehe er sich umdrehte und in dem Haus der Severos verschwand. Ich bemerkte die Hoffnung in seinen Worten, dass ich es vielleicht wirklich schaffte, ihn aus unseren Angelegenheiten heraus zu halten. Und das kam anscheinend nicht oft vor, dass er anderen vertraute. Verständlich. Und er tat sich auch schwer, mir zu vertrauen. Doch er wusste, dass er keine andere Wahl hatte, als auf meine Worte zu vertrauen. Und das gefiel ihm nicht.

Ich lief wieder zu dem Haus von Audra und Aldric. Sobald ich die Tür öffnete, vernahm ich Stimmen aus der Küche. Es schien, als sei auch schon Aldric wach und er diskutierte mit seiner Frau. „Sie sind alt genug, Audra!", hörte ich Aldric sagen.

„Trotzdem! Sie sind noch Kinder, Aldric!", sagte Audra mit Nachdruck und ich konnte schon vor mir sehen, wie sie ihre Hände in ihre Hüfte stemmte und diese mütterliche Autorität ausstrahlte. Ich näherte mich der Küche. Ich wollte nicht lauschen. Wirklich nicht. Doch immerhin ging es anscheinend um Liam und mich. Außerdem musste ich an der Küche vorbei, um zu der Treppe zu gelangen, die nach oben führte, wo Liam auf mich wartete. „Was, wenn ihnen etwas passiert wäre? Oder weißt du etwa, wo sie sich herumgetrieben haben?", fragte Audra sichtlich besorgt. Ich hörte Aldric seufzen. „Audra, beruhige dich. Sie sind beide in einem Alter, indem sie mehr Privatsphäre und ihren Freiraum brauchen. Du hilfst ihnen nicht weiter, indem du alles wissen willst."

„Aber sie sind keine normalen Menschen! Aldric, das ist doch das Problem! Ich akzeptiere doch, dass sie ihren Freiraum brauchen und dass sie auch keine Mutter mehr brauchen, die um sie herum schwirrt.", sagte Audra leise. „Was, wenn jemand sie gesehen hätte? Liam fällt bloß mit seinen Augen auf, die er allerdings verstecken kann. Und seine Haut lässt sich auch noch irgendwie erklären. Aber Freya?" Audra schluchzte. „Sie fällt auf, Aldric. Man sieht sofort, dass sie kein Mensch ist." Etwas in mir zog sich zusammen und ich versuchte auch gar nicht mehr, unbemerkt zu der Treppe zu kommen. Die Tür der Küche stand offen und Licht fiel aus dem Raum in den Flur. „Ich mache mir Sorgen, Aldric. Wer weiß, wo sie gewesen sind. Und wer weiß, was hätte passieren können." Audras Stimme war nun ganz leise. „Wir hätten ihnen nicht helfen können. Genauso, wie wir ihnen jetzt nicht helfen können." Ein Stuhl wurde über den Fußboden gezogen und ich vermutete, dass Audra sich hingesetzt hatte. Aus der Küche drang Schweigen. Ich schluckte. Ich wusste ja, dass ich auffiel, aber mir war nie bewusst gewesen, wie sehr. Und Audra machte sich Sorgen.

„Ich bin zwar nicht ihre Mutter, aber ich sehe Liam und Freya wie meine Kinder, Aldric. Und ich hasse es mitanzusehen, wie sehr sie die Situation quält."

Oh Audra, du weißt gar nicht, wie sehr du für uns die Mutterrolle eingenommen hast!

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt