Kapitel 78.2

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Es war einige Zeit vergangen, als Clausen zurückkehrte. Dieses ma lblieb Lucius verschollen. Varya, die sich seither nicht vom Fleck gerührt hatte, blickte auf. Ihr Blick war wie der einer Toten.

„Freya.", grüßte Clausen mich mit einem breiten Lächeln. Wie sehr ich das hasste. Er zog ein kleines Display aus der Tasche seines Kittels und schaute kurz darauf. „Der Test vorhin hat uns ein gutes Stück weitergebracht." Er wirkte äußerst zufrieden. Fehlte nur noch,dass er sich selbst stolz auf die Schulter klopfte. Finster sah ich ihn an. Schön für ihn. „Du bist doch sicher gespannt, was der kleine Test offenbart hat!" Enthusiastisch steckte er das kleine Display wieder weg und stellte sich vor mein durchsichtiges Gefängnis. Varya hinter ihm verzog keine Miene. Wie eine Soldatin stand sie regungslos still. Wozu war sie hier? Wozu wurde sie geschaffen? Wenn ich das herausfand, würde ich wenigstens einen Anhaltspunkt haben. Was bewegte sie? Bewegte sie überhaupt etwas?

Clausen bemerkte nicht einmal, dass meine Aufmerksamkeit überhaupt nicht auf ihm lag. Vermutlich bewunderte er sich zu sehr selbst, um andere wirklich wahrnehmen zu können. „Durch deine vorübergehendeLähmung ist es mir gelungen, dir ein paar deiner Hautzellen zu entnehmen. Das hast du wahrscheinlich nicht einmal bemerkt.", prahlte Clausen. „Außerdem wurde dadurch deutlich, dass deinem Körper unter bestimmten Einflüssen auch die Kälteresistenz entzogen werden kann. Das bedeutet, dass man die Mutation rückgängig machen kann." Clausen sah ziemlich zufrieden mit sich aus. Es war, als hätte er irgendetwas, das alle anderen nicht hatten. Offensichtlich fühlte er sich allen anderen Wissenschaftlern, Professoren oder Doktoren überlegen. In seinen Augen war er ein Genie. Vielleicht stimmte das sogar. Doch für mich war er nur ein Verrückter, der seinen eigenen Bedürfnissen hinterher jagte. Welche auch immer das waren, sie dienten wohl nicht dazu, zum Allgemeinwohl beizutragen.

Clausen sah nachdenklich aus. „Zwar wird es noch nicht möglich sein, eine Mutation für einen längeren Zeitraum zu unterdrücken, aber das hier war der erste Schritt in die richtige Richtung.", meinte er. „Bei dir ist da noch der Fall, dass bei dir nicht nur eine Mutation vorhanden ist, sondern mehrere. Bis jetzt war es nur möglich, einen Teil davon für einen kurzen Zeitpunkt abzuschalten, aber Fortschritt passiert nicht innerhalb weniger Tage. Es braucht Jahrzehnte, um die Forschung zu perfektionieren." Kurz schüttelte er seinen Kopf, als wollte er wieder einen freien Kopf bekommen. Erneut zog Clausen das kleine Display aus der Tasche seines Kittels, tippte kurz darauf herum und visierte kurz irgendetwas, das ihm dort angezeigt wurde, an. Anschließend nickte er kurz und packte es wieder weg. Seine Aufmerksamkeit galt wieder allein mir. „Wie dem auch sei. Das ist nicht das einzige, das wir heute herausgefunden haben.", ergänzte Clausen. „Wie ich vorhin schon erwähnt habe, habe ist es mir gelungen, einige deiner Hautzellen zu entfernen." Sein Lächeln wurde eine Spur breiter, was eigentlich kaum möglich war. Irgendwann würden ihm die Wangen einreißen. „Ich habe mir deine Hautzellen ein wenig genauer angesehen. Besonders interessant war zu sehen, dass sie auf innerliche, wie auch äußere Reize reagieren. Dadurch verändern sie vollkommen ihre Struktur. Aber das müsste dir bereits bekannt sein." Der Doktor wandte sich von mir ab und steuerte ein kleines, weißes, viereckiges Gerät an, das sich in einem der Regale befand. Die Oberfläche schimmerte ein wenig, ehe Clausen seinen dunklen Schatten darauf warf. Mit beiden Händen nahm er das Gerät und kehrte zu mir zurück. Vor meiner Gefängniszelle legte er das weiße Gerät vorsichtig auf den Boden. Bevor er sich wieder aufrichtete, drückte er noch einen kleinen, kaum erkennbaren Knopf. Daraufhin ging ein kleines blaues Licht an, das sich direkt neben dem Knopf befand. Ein weiteres mal zog Clausen sein kleines Display hervor. Auch dieses schaltete er ein. Nachdem er dort ein paar mal herumgetippt hatte, erschien über dem weißen Gerät plötzlich das Hologramm eines merkwürdigen, rundlichen Gebildes.

„Das ist eine Zelle.", erklärte Clausen. „Genauer gesagt, ist es deine Hautzelle. Hier siehst du sie in ihrem Normalzustand." Mit dem Daumen tippte er ein weiteres mal auf das Display. Neben meiner Hautzelle erschien eine weitere. „Das ist eine Hautzelle deines Bruders.", fuhr Clausen fort. „Wie du siehst gibt es bereits hier einige Unterschiede. Aber darauf werde ich jetzt nicht eingehen." Erneut tippte er auf das Display. Und urplötzlich begann die Hautzelle sich zu verändern. Zum einen wurde von ihr weggezoomt, weshalb sie nun aussah, wie ein gewöhnliches Stück meiner Haut. Jedoch änderte sich das ziemlich schnell. Innerhalb eines Wimpernschlages war keine Haut mehr zu sehen, sondern eine Schuppe. Die Schuppe einer Schlange. „Das hier finde ich sehr interessant.", sagte Clausen. „Wie kann sich deine Haut so verändern, dass sie ihre eigentliche Struktur aufgibt und sich neu formatiert? Dies ist eine der Fragen, die ich entschlüsseln muss, wenn ich hinter das Geheimnis der Mutationen kommen möchte." Er zoomte wieder näher heran. Es war, als würden wir in die Zelle eintauchen. „Zwar weiß ich noch nicht genau, wie die Ambrosia-Wissenschaftler das geschafft haben, dass sich deine Hautzellen so transformieren, aber ich werde schon noch dahinter kommen. Außerdem muss nur diese Hürde überwunden werden, dann wird der Rest leichter zu entschlüsseln sein. Schließlich sind es nicht nur deine Hautzellen, die sich je nach Bedarf transformieren." Clausen deutete auf die vergrößerte Zelle. „Das hier ist nichts, im Gegensatz zu deiner restlichen Mutation. Diese hat nämlich einiges seit dem Zeitpunkt deiner Mutation für immer verändert. Viele Teile deiner Gene wurden ausgetauscht, oder mit anderen Genen verwoben. Das ist auch hier zusehen." Er zoomte noch näher. Nun war ein Gebilde aus zwei Strängen zu sehen, die sich miteinander verbanden. „Dies ist eine DNA-Doppelhelix.", erklärte Clausen. „Deine DNA ist der chemische Träger der Erbinformation. Jedoch wurde deine teils ausgetauscht, teils erweitert. Auf den ersten Blick war es ziemlich schwer zu sagen, was davon ursprünglich von dir war. Da deine DNA deine – nennen wir es Bauinformationen – enthält und diese stark verändert wurden, hat sich deine gesamte Zelle beinahe vollkommen verändert. Dadurch werden andere Informationen weitergegeben, weshalb sich einige deiner Funktionen verändert haben. Und nicht nur die.", Clausen wirkte ganz aufgeregt. Seine Augen leuchteten beinahe, als er auf das Hologramm meiner Hautzelle blickte. „Die Erbinforationen sind nicht nur für deine Funktionen zuständig, sondern auch für dein Äußeres. Dieses hat sich auch, durch die Veränderung deiner Gene, verändert. Besonders interessant ist, bei Betrachtung dieser Fakten, die Frage, in wie fern du noch Freya Winter bist." 

Clausen grinste merkwürdig. Dieses mal schien er dabei tatsächlich echte Freude zu empfinden. Mir gefiel seine letzte Aussage überhaupt nicht. Dieses Thema hatte ich bereits. Und eigentlich hatte ich geglaubt, es bereits hinter mir zu haben. Was, wenn Lucius durch Clausens Ergebnisse wieder anfing, an mir zu zweifeln? Obwohl das leider keinen großen Unterschied mehr darstellte. Schließlich hatte Lucius sich gegen mich entschieden. Da würde es nichts mehr ausmachen, wenn Clausen nun herausfand, dass meine DNA so weit verändert wurde, dass meine Verwandtschaft mit Lucius genetisch kaum mehr zu erkennen war. Machte das eine neue Person aus mir? Hatte Lucius vielleicht von Anfang an richtig vermutet, dass die alte Freya nicht mehr existierte? Nein. Ich würde mir von Clausen nichts einreden lassen. Wahrscheinlich diente dies alles nur dazu, mich ihnen anzuschließen. Es sollte mich dazu verleiten, Clausen bei seinen Experimenten zu helfen, in der Hoffnung, dass er mich wieder zu der ursprünglichen Freya Winter machen könnte. Wieder zu Lucius' Schwester. Doch mein Leben war nicht abhängig von Lucius und seiner Akzeptanz. Jahrelang musste ich alleine auskommen. Jahrelang hatte ich ohne ihn gelebt. Auch wenn es wirklich traurig wäre, wenn Lucius' und mein Leben sich für immer trennen würde, würde ich damit zurechtkommen, wenn es nötig war. Ich lebte nicht für Lucius, oder sonst jemanden. Ich lebte für mich. Und wenn ich sagte, dass ich Freya Winter war, dann war ich auch Freya Winter. Egal, was andere darüber dachten.

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt