Kapitel 31

4.8K 435 20
                                    

Kapitel 31

Liam grinste, schien jedoch zu überlegen. Ich hielt die Luft an. Was würde besser sein? Wenn er ablehnte und sich weiter bei Brenda beliebt machte, oder wenn er die anderen Jäger kennenlernen würde? Brenda sah ihn abwartend an. Würde diese Entscheidung wichtig sein? In ihren Augen schien es so. Ich überlegte. Würde er die anderen Jäger kennenlernen wollen, würde das Brenda zeigen, dass Liam interessiert an Brendas Bekanntschaften und an ihrem „Beruf" war. Doch andererseits konnte man das auch so verstehen, dass Liam über Brenda nur an die Jäger heran wollte.

Würde er jedoch lieber mehr Zeit mit Brenda allein verbringen wollen, konnte Brenda das so interpretieren, dass Liam an ihr interessiert war und ihr „Beruf" für ihn eher eine Nebensache war. Was wollte Brenda bezwecken? Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Wollte sie überhaupt irgendetwas bezwecken? Ich dachte zu viel nach. Außerdem war es doch sowieso egal, was ich davon dachte. Es war Liams Entscheidung. Ob er nun die richtige oder falsche wählte. Ich konnte ihm dabei nicht helfen. Und das gefiel mir nicht. Mir waren die Hände gebunden. Ich war bloß zum Beobachten hier. Und würde nur eingreifen, wenn es nötig war. In dieser Hinsicht war ich im Moment nutzlos.

„Brenda, ich weiß das Angebot wirklich zu schätzen.", begann Liam nun langsam. „Aber die anderen kann ich auch noch ein anderes mal kennenlernen." Er grinste und schielte zu Brenda. „Im Moment haben ... andere Dinge Vorrang." Sein Grinsen wurde breiter. Das von Brenda ebenfalls. Verdammt, Liam war wirklich gut in dem, was er da tat! Wo hatte er das denn bitte gelernt? Es verwunderte mich wirklich. Aber was sollte ich daran schon in Frage stellen? Es half uns. Nur das zählte.

„Einverstanden.", sagte Brenda leise. Sie flüsterte schon fast und konnte ihre Augen nicht von Liam lassen. Sie klebten an ihm wie Mücken am Licht. Irgendwie war ich erleichtert, dass Liam nicht noch auf die anderen Jäger treffen würde. So war die Wahrscheinlichkeit gering, dass jemand ihn angreifen würde. Da blieb nur Brenda. Doch die war so verblendet, dass sie nicht einmal die offensichtlichen Dinge wahr nahm. Liams Körpertemperatur hatte sie schnell als unwichtig abgetan. Sie stellte keine Fragen dazu, weshalb sie ihn bisher nie ohne die Sonnenbrille gesehen hatte und weshalb er sie im Wald gesucht und gefunden hatte. Überhaupt stellte sie nichts in Frage. Nicht einmal Liams Interesse an ihr und an dem Jägersein. Sie schien mir blind. Und das obwohl sie mit offenen Augen durch die Welt lief. Wie hatte ihre kleine Schwärmerei sie so blenden können? Abfällig beobachtete ich die Jägerin, die bei Liam saß.

Liam und Brenda unterhielten sich noch eine Weile, wobei nicht zu übersehen war, wie sehr Brenda Liam anhimmelte. Liam gab sich wie zuvor als charmant und interessiert. Ich war erleichtert, als sie sich endlich voneinander verabschiedeten. Brenda blickte Liam sehnsüchtig hinterher, während Liams freundliche Maske beinahe sofort fiel, als er sich von ihr abwandte und ging. Ich machte schnell, dass ich wieder in Bewegung kam und huschte geschickt über die Bäume davon. Dennoch bemerkte ich, dass ich Liam nicht unbemerkt geblieben war und ich seinen Blick spürte, der die Baumkronen absuchte. Doch ich blieb ihm weiterhin verborgen. Klar, Liam und ich unterstützten einander gegenseitig, doch das hier sah er als „seinen Auftrag" und er mochte es nicht, wenn jemand ihm dabei heimlich half. Er dachte dann, man würde ihn unterschätzen. Er würde mir jetzt nicht sauer sein, aber begeistert wäre er nicht. Ich glaubte, dass er die Jäger manchmal unterschätzte. Ich zweifelte nicht an seinen Fähigkeiten und seiner Kraft. Auf keinen Fall. Doch wir hatten keine Ahnung, wie viele Jäger sich hier befanden, was sie für Waffen und Fallen hatten und wie viel sie wussten. Ich wollte kein Risiko eingehen. Sonst würde ich mir die Schuld geben, würde etwas passieren und ich wäre nicht dabei.

Ich hatte den Rand des Waldes erreicht und landete elegant auf dem Boden. Sicherheitshalber warf ich noch einmal einen Blick zurück, doch Liam war noch nicht zu sehen. Dennoch huschte ich schnell zurück zum Haus und schloss die Tür hinter mir.

Als ich in mein Zimmer ging, wies nichts mehr daraufhin, dass ich weg gewesen war. Gerade als ich mich auf mein Sofa gesetzt hatte, hörte ich unten die Haustür aufgehen.

„Bin wieder hier!", hörte ich Liams angesäuerte Stimme. Er klang alles andere als glücklich. Betont ruhig erhob ich mich und ging zu Liam in das Wohnzimmer. Dieser hatte sich auf das Sofa dort fallen lassen und seine Miene sprach Bände.

„Ich hasse sie.", knurrte Liam, als ich mich neben ihn fallen ließ.

„Ich weiß.", sagte ich versöhnlich und legte meinen Arm beruhigend um seine Schultern. Liam gab etwas von sich, das ich als eine Art Brummen identifizieren konnte. Ich zog ihn in meine Arme.

„Sie ist ätzend. Sie denkt doch tatsächlich, ich würde sie mögen!", knurrte er in mein Haar und stieß ein verächtliches Schnauben aus. Ich tätschelte seinen Kopf.

„Du bist sie ganz schnell wieder los, Liam.", versuchte ich ihn zu beschwichtigen. „Vertrau mir."

„Ja, aber erst nachdem wir genug Informationen haben. Dann kann ich sie loswerden." Er klang nicht sehr begeistert. „Und was wissen wir? Nichts."

Ich lachte leise auf. „Das ist doch gar nicht wahr. Überlege doch mal! Du weißt, dass sie nicht allein ist. Du weißt, dass wir durch sie an die Jäger heran kommen und sie dir wie ein Hund aus der Hand frisst. Du weißt, wo sie sich aufhalten und was weiß ich, was du sonst noch so weißt." Ich schob ihn von mir weg, sodass ich in Liams Augen blicken konnte. „Und jetzt sag mir noch einmal, dass wir nichts wissen."

Liam verdrehte seine Augen. „Ja, ja. Du hast recht. Ist es das, was du hören möchtest?"

Ich grinste und schüttelte bloß meinen Kopf. Nein. Was ich hören wollte wusste Liam ganz genau, doch noch hatte Brenda nichts über ihre Pläne und Waffen verraten. Die einzige ihrer Waffen, die mir bekannt war, war dieses Gerät das unsere Sinne unterdrücke und wir mussten dringend lernen, damit klar zu kommen. Oder sie zu zerstören. Das wäre vermutlich die beste Option, die wir hatten, da wir nicht wussten, wie wir zum Beispiel gegen den Würfel „immun" werden konnten. Falls das überhaupt möglich war.

Seufzend sank Liam tiefer in das Sofa und schloss seine Augen. „Ich halte diese falsche Freundlichkeit nicht aus. Und auch nicht das Wissen, das Brenda mich ohne mit der Wimper zu zucken töten würde, würde sie wissen, wer ich bin." Sein Blick wurde düster. „Ich hasse es, wie die Menschen mit Unseresgleichen umgeht, Freya. Ich hasse es."

Ich lehnte meinen Kopf nach hinten an die Lehne des Sessels und starrte hinauf an die Decke. „Ich weiß. Ich hasse es auch. Es ist nicht fair."

Liam schnaubte verächtlich und setzte sich ruckartig auf, sodass er mich beinahe von dem Sofa geworfen hätte. „Natürlich ist es nicht fair!", rief er und seine Augen glühten wie schmelzendes Metall. „Es ist nicht fair und es wir auch weiterhin nicht fair sein! Wir müssen endlich etwas tun! Es reicht nicht, wenn wir hier herum sitzen und darüber reden, dass wir etwas tun wollen!" Liams in Flammen stehende Augen lagen auf mir und ich sah ihm an, dass all die aufgestaute Wut in ihm bereit war jetzt explosionsartig herauszubrechen. Ich tat es ihm gleich und setzte mich auf, bemühte mich ruhig zu bleiben, damit wir nicht beide explodierten. „Wir tun nicht Nichts!", sagte ich mit Nachdruck und sah ihm fest in die Augen. „Wir sind dabei, etwas zu tun! Wir sammeln Informationen und du hast bereits das Vertrauen einer Jägerin! Nennst du das Nichtstun? Ich nicht." Ich spürte die Kälte, die mich umhüllte und auch Liam spürte sie. Anders als sonst wenn er meine kalten Fähigkeiten spürte, erzitterte er. Das schien ihn aus der Bahn zu werfen. Mich zwar auch, doch ich bemühte mich, meine äußere Ruhe aufrecht zu erhalten. „Wir brauchen noch Zeit. Das was wir vorhaben klappt nicht von jetzt auf gleich. Wir dürfen nichts unüberlegtes tun und du weißt genau, warum. Also beruhige dich!" Ich hatte nicht einmal gemerkt, wie ich Liam an den Schultern gepackt hatte und ihn eindringlich ansah. Seine Augen waren groß und er starrte mich ungläubig an. „Wieso macht mir deine Kälte etwas aus?" Seine Stimme war leise. Er löste meine Hände von seinen Schultern und schüttelte sich zitternd. Anscheinend wollte er die Kälte vertreiben. Meine Kälte. „Das ist doch sonst nie so." Fragend musterte er mich. Nun ließ ich meine aufgesetzte Ruhe fallen und sah ebenso fragend aus wie Liam.

„Ich habe keine Ahnung." Das war die Wahrheit. Und ich hasste es, unwissend zu sein. Besonders, wenn es um mich ging.

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt