Kapitel 30

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Kapitel 30

Ich würde es ändern. Zusammen mit Liam. Und Audra und Aldric, wenn sie uns halfen. Das würden sie vermutlich. Doch ich zweifelte, dass ich wirklich zulassen würde, dass sie richtig mithalfen, damit sie sich nicht in Gefahr begaben. Sie waren beide schwächer als Liam und ich. Das konnte ich sagen ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, denn so war es. Es war die Wahrheit. Audra und Aldric waren im Gegensatz zu Liam und mir schwach. Sie waren uns maßlos unterlegen. Und genau deshalb wäre es wohl besser, ich würde sie hier heraushalten. Außerdem stand ich momentan vor einem vollkommen anderem Problem. Und dieses befand sich einige Meter von mir entfernt und quatschte mit Liam. Dieser wirkte die ganze Zeit vollkommen fasziniert und charmant, doch ich sah, wie es in ihm brodelte. Ich bewunderte seine Selbstkontrolle. Wäre ich an seiner Stelle ... Ich wusste nicht, ob ich eine solche Selbstbeherrschung wie Liam besaß. Manchmal reagierte ich ziemlich impulsiv. Manchmal konnte sich das positiv auswirken, doch hauptsächlich eigentlich negativ. Und wenn ich so impulsiv war, glich ich in manchen Situationen einer tickenden Zeitbombe.

„Hast du immer noch Interesse daran, ein Jäger zu werden?" Brandas Augen funkelten Liam erwartungsvoll an. Ich entdeckte die Hoffnung in ihren Blick. Dummes, dummes Mädchen. Liam würde niemals ein Jäger werden. Niemals in seinem gesamten Leben, wie lange das nun auch sein mochte. - Oder wie kurz.

Doch das konnte sie nicht wissen. Und das war auch eigentlich besser so.

„Weswegen wäre ich sonst hier?", entgegnete Liam mit einem geheimnisvollem Lächeln. Brendas Wangen erhitzten sich und sie senkte ihren Blick. Dennoch konnte sie ihr freudiges Lächeln nicht verbergen. Sie schien tatsächlich zu glauben, er wäre wegen ihr gekommen. Lächerlich. Meine Lippen zierte ein spöttisches Lächeln. Brenda war verliebt. Ich hätte gerne laut gelacht, sie laut verspottet, ihr ihre Hoffnungen genommen, doch ich durfte nicht. Noch nicht. Aber bald. Ganz sicher. Ich wollte sehen, wie Brenda zerbrach, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Wollte, dass sie innerliche Qualen litt, wenn sie begreifen würde, dass Liam ihr Feind war. Wollte, dass sie dafür bestraft wurde, weil sie uns Mutanten verabscheute und jagte, als seien wir Abscheulichkeiten, die es nicht wert waren am Leben zu sein. Aber noch war es nicht an der Zeit. Noch war meine Zeit nicht gekommen. Die Zeit, in der ich ein freies Lebewesen sein würde und auch das tun können würde, was ein normaler Mensch tun konnte. Ich musste warten. Aber ich war geduldig. Ich konnte geduldig sein. Wenn ich es wollte. Und wenn ich das tat, glich ich einer Spinne, die nur darauf wartete das zu bekommen, was sie wollte. In mancher Hinsicht war ich ziemlich gefährlich. Geduldig war ich als ich in der Röhre eingesperrt gewesen war. Und das hatte für manche Menschen kein gutes Ende genommen. Und auch wenn ich impulsiv handelte und schier explodierte, nahm es für viele kein gutes Ende. Kurz erschrak ich mich selbst über meine Gedanken. Wie gleichgültig ich darüber nachdachte, was ich tun konnte und wie gleichgültig mir ein Menschenleben geworden war. Konnte ich so denn noch immer von mir sagen, dass ich die alte Freya Winter war? War ich das noch? Schweigend starrte ich hinunter auf Liam und Brenda. Diese Frage konnte ich mir noch immer später stellen. Erst einmal hatte diese Situation hier den Vorrang.

Mittlerweile saßen Liam und Brenda zusammen sich auf der Wiese gegenüber. Brenda zupfte büschelweise Gras aus dem Boden, währen Liams Hände ruhig in seinem Schoß lagen. „Weißt du schon, wo du als nächstes hingehen wirst?", fragte Liam sie und beugte sich leicht zu ihr vor, während er sich auf seinen Arm stützte.

Brenda lächelte ihn an. „Wir haben vor, nachdem wir hier fertig sind, in die nächst gelegene Stadt weiterzuziehen. Nun ja, sei denn, es würde etwas dazwischen kommen."

Liam lächelte. „Und was wäre das?" Er lehnte sich noch ein wenig vor.

Brenda kicherte. „Wer weiß? Vielleicht ja du?" Ihr Blick flackerte schüchtern zu Liam. Ihre Wangen waren erneut gerötet. Ihr Blick verdüsterte sich ganz plötzlich. „Leider zählst du nicht als etwas, was die anderen dazu veranlassen würde, zu bleiben. Bloß eine Mutation würde sie dazu bringen, hier bleiben zu wollen. Und da diese dann sowieso keine Chance hat zu überleben, würden wir schnell weiterziehen." Doch nun lächelte sie Liam wieder an. „Es sei denn, du wärst eine Mutation." Sie lachte über ihren eigenen Witz. Ich konnte sehen, wie Liam sich anspannte und sein Blick eiskalt wurde, sodass er glatt von mir hätte stammen können. Zwar verdeckte die Sonnenbrille seinen Blick, doch da weder Liam noch ich normal waren, konnte ich es trotzdem merken. Auch daran, wie er seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen presste und sein Gesicht insgesamt einen härteren Ausdruck bekam. Doch ehe Brenda etwas bemerken konnte, schien er sich wieder zu entspannen und legte eine charmante Maske über seine eisige Miene. „Genau. Es sei denn, ich wäre eine Mutation." Liam setzte ein amüsiertes Lächeln auf. Brenda sah ihn an und grinste. „Du und eine Mutation!" Sie lachte auf. „Das wär's!" Sie lachte noch immer. Noch. Ich bemerkte, wie sich meine Lippen zu einem Lächeln verzogen, so kalt wie das Polarmeer. Warte nur ab, Brenda. Noch lachst du. Wollen wir doch mal sehen, wie lange noch. Ich legte mich auf die Lauer. Beobachtete das Geschehen unter mir mit wachsamen Augen. Ich wünschte Liam nicht, dass Brenda herausfand wer er war, denn ansonsten würde er ziemliche Probleme bekommen. Aber ich wünschte Brenda, dass sie irgendwann erfuhr, in wen sie sich da verliebt hatte. Einfach nur, damit sie litt und sich fragte, wieso sie nicht bemerkt hatte, wer der junge Mann war, von dem sie nachts träumte und mit dem sie tagsüber nur allzu gerne ihre Zeit verbrachte. Ich weiß, ich sollte Menschen nicht gerne leiden sehen wollen. Doch so war es nun einmal. Ich hasste die Menschen. Sie hatten mich zu dem gemacht, was ich heute war. Hatten mir mein Leben genommen. Und das in mehr als einer Hinsicht. Sie behandelten Kreaturen wie uns wie Dreck, obwohl wir einst genauso waren wie sie. Normale Menschen. Natürlich war mir auch bewusst, dass nicht alle Menschen etwas für meine Mutation konnten. Dennoch benahmen sie sich nicht besser als die Wissenschaftler, die uns das angetan hatten. Und natürlich war mir klar, dass nicht alle Menschen so waren. Audra und Aldric zum Beispiel nicht. Doch ich wusste nicht, ob es auch noch andere gab, die so waren wie sie. Wenn, dann würden es nicht viele sein. Und dann war da noch meine Familie, die aus Menschen bestand. Sie hasste ich nicht. Und das, obwohl sie vermutlich alle kein Bisschen besser waren, als all die anderen Menschen. Nur wusste ich das nicht. Und das war auch gut so. Ich wollte ihnen nicht unter die Augen treten. Niemals. Was diese Sache anging war ich stur. Mehr als stur.

Brendas Hand wanderte in die Nähe von Liams Händen. Dieser ignorierte das, doch das schien Brenda nicht zu interessieren. Oder bemerkte das ganz einfach nicht. „Willst du die anderen kennenlernen?", fragte sie ihn. Interessiert horchte ich auf. Die anderen? Sie wollte Liam jetzt schon die anderen Jäger vorstellen? War sie nicht etwas zu unvorsichtig? Egal. Sie vertraute Liam blind. Das konnte ich von hier aus sehen. Ihre rosarote Brille verschleierte alles vor ihren Augen. Selbst Liams unnatürliche Körpertemperatur. Doch diese anderen Jäger würden weitaus vorsichtiger sein als Brenda. Konnte das gut ausgehen?

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt