- Kapitel 74 -

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Je länger sich dieser Kampf zieht, desto mehr beginne ich zu verstehen. Alles, was ich je im Leben wollte war die Anerkennung meiner Stärke, meines Wertes. Ich wollte akzeptiert und respektiert werden, doch letztlich ist all das irrelevant. Es nützt einem nichts von anderen bewundert zu werden, von anderen akzeptiert und respektiert zu werden, solange man sich seines eigenen Wertes nicht selbst bewusst ist. Immer nur um die Gunst der anderen zu kämpfen führt einen nicht zum Ziel. Man wächst an diesen Zielen nicht. Nur wenn man für sich selbst kämpft, wenn man sich stetig verbessern möchte, um des eigenen Willens wegen kann man stärker werden. Wenn man nicht alle anderen als Gegner, als Messlatte sieht, sondern nur sich selbst, erlangt man wahre Größe.
Bisher war es immer nur mein Ziel besser als alle anderen zu sein, um anerkannt zu werden, doch ab sofort ist es mein Ziel in Zukunft besser zu sein, als ich es in der Vergangenheit war. Ich will mich selbst akzeptieren und zufrieden mit mir selbst sein können, das ist es, wofür ich kämpfen will, wofür ich an mir arbeiten will. Letztlich kann man sich schließlich nur selbst aus misslichen Lagen befreien. Wo sind die Anderen, die einen bewundern, wenn man sich inmitten eines Kampfes befindet?
Und wo sind sie, wenn man den Kampf verliert?
Mir eröffnet sich nicht nur eine neue Kraft sondern auch ein völlig neuer Blickwinkel.
Ein neues Ziel.
Ich möchte wissen, wie weit ich kommen kann. Ich will wissen, in welche Dimensionen sich meine Kraft ausbreiten kann. Ich will wissen, wo meine Grenzen sind und über sie hinauswachsen und das hier, diese Situation, dieser Kampf ist der Anfang.
„Und deshalb werde ich nicht verlieren!", brülle ich euphorisch, während ich immer weiter und weiter auf den konzentrierten Nebel vor mir einprügle. Ich verstärke meine Hiebe indem ich sie mit Flammen versehe.
Wie viel Energie ich wohl freisetzen kann?
Ich lasse immer mehr und mehr meiner magischen Kraft ausströmen bis meine Flammen schließlich ins bläuliche übergehen. Als mein nächster Schlag auf meinen Gegner einprasselt wird er mit solch einer Wucht von mir weggeschleudert, das ich kurz darauf einen lauten Knall vernehme, gefolgt von ächzenden Lauten. Überrascht begutachte ich meine Fäuste, die nach wie vor von blauen Flammen umgeben sind. Doch nicht nur meine Fäuste, mein gesamter Körper glüht bläulich. Während ich fasziniert an mir herabsehe, rappelt sich mein Gegenüber allmählich wieder auf.
„Nicht schlecht, das muss man dir lassen..doch das reicht bei weitem nicht aus, um mich zu besiegen. Irgendwann geht dir die Kraft aus und wie eine Flamme ohne Sauerstoff wird auch sie versiegen. Dunkelheit jedoch wird nie vergehen. Sie ist endlos. Es ist also nur eine Frage der Zeit", ächzt mein Gegner mit selbstgefälligem Grinsen. Es ist deutlich herauszuhören, dass er einiges einstecken musste und seine Kraft nachgelassen hat.
„Wenn das so ist, werde ich dir diese Zeit nicht geben. Alles was ich tun muss, ist dich zu erledigen bevor meine Kraft aufgebraucht ist", kontere ich grinsend und begebe mich erneut in Kampfposition. „Pfft, dein neugewonnenes Selbstvertrauen ist wahrlich amüsant, doch mal sehen, wie lange du solch große Töne noch spucken kannst", entgegnet er mir lachend und prescht mit unsagbarer Geschwindigkeit nach vorn. Ein Schlag nach dem anderen folgt und ich kann nur schwer folgen sie zu blocken. Scheinbar hat er nicht ganz Unrecht. Die Dunkelheit um uns herum füllt seine Kraftreserven ununterbrochen wieder auf, völlig egal wie viel Schaden ich ihm zufüge. Um diesen Prozess zu durchbrechen muss ich ihn mit einem gezielten Angriff komplett unschädlich machen. Es reicht leider nicht ihn lediglich etappenweise zu schwächen.
Ich beiße die Zähne zusammen und wische mir den Schweiß von der Stirn, nachdem ich ein Stück zurückgewichen bin.
„Na, war das schon alles?", provoziert er selbstgefällig und zieht langsame Kreise um mich herum.
„Nein, noch längst nicht!", kontere ich lachend und lasse meinen Flammen freien Lauf.
„Du scheinst noch immer nicht begriffen zu haben, wie deine neu erlangten Kräfte wirken, welch unsagbarer Vorteil für mich", säuselt er zufrieden und umkreist mich weiterhin.
Wieso greift er nicht an?
Wieso wahrt er die Distanz?
Spielt er etwa auf Zeit?
Will er warten, bis meine Kraft aufgebraucht ist?
Ich ziehe meine Brauen zusammen. Leider kann ich selbst nicht sagen, wie lange ich diesen Zustand noch aufrecht erhalten kann. Es wird Zeit über meine nächsten Schritte nachzudenken. Solange er mich lediglich umkreist aber nicht angreift kann ich es mir erlauben mich auf einen Plan zu konzentrieren.
Er bezieht seine Kraft aus der Dunkelheit, die hier ganz zu meinem Nachteil zu Hauf zur Verfügung steht. Zwar kann ich nun seine Position ausmachen, doch seine Kraft wird sich stetig weiter erneuern, solange die Dunkelheit den Raum erfüllt. Es ist ein Leichtes für ihn meine Flammen zu löschen. Sie auf dem Boden zu verteilen ist also völlig sinnlos. Plötzlich vernehme ich ein Flackern. Meine Flammen wechseln immer öfters, immer schneller die Farben. Von Blau zu Orange zu rot und wieder zu blau.
Verdammt, ist das etwa meine Grenze?
Ist das die Zeitspanne in der ich diese Kraft freisetzen kann?
Mit zusammengebissenen Zähnen versuche ich die Flammen wieder konstant blau zu halten, doch ich schaffe es einfach nicht.
„Wie es scheint muss ich gar nicht mehr so lange warten, bis ich dich endgültig erledigen kann", verhöhnt er mich spottend, woraufhin ich meine Brauen zusammenziehe. Als meine Kraft immer weiter nachlässt nutzt er die Gelegenheit zum Gegenangriff. Ohne Erbarmen schlägt er auf mich ein, donnert mich gegen Felswände und gegen den Boden. Immer wieder hebt er meinen erschlafften Körper auf, nur um ihn im nächsten Moment wieder von sich zu schleudern.
„Das könnte ich den ganzen Tag machen", spottet er lachend während ich zähneknirschend jeden Muskel meines Körpers anspanne, um die Schläge so gut ich kann abzuwehren.
„Doch ich bezweifle, dass du das noch sehr viel länger aushältst", fügt er dreckig lachend hinzu. Ich muss nachdenken, mich zusammenreißen. Ich bin so kurz davor diesen Kampf zu gewinnen. Ich kann jetzt nicht schlapp machen!
Ich darf nicht verlieren.
Nein, ich will nicht verlieren.
In diesem Moment wird mir eine weitere Sache klar. Plötzlich nimmt der Verlauf der Zeit drastisch an Geschwindigkeit ab. Alles um mich herum hört mit einem Mal auf sich zu bewegen und steht völlig still. Alastairs Projektion steht dicht vor mir, mit weit ausholendem Arm und einem irrwitzigen Grinsen auf dem Gesicht, welches ich so noch nie bei ihm gesehen hatte. Alles um mich herum verliert an Farbe. Geräusche sind wie stummgeschaltet und auch meine Schmerzen sind wie weggeblasen. Irritiert sehe ich mich um und bleibe an dem tief Gold leuchtendem Umhang hängen.
Levions Umhang..er leuchtet..hat er etwa die Zeit angehalten?
Ich habe ihn doch überhaupt nicht aktiviert? Plötzlich erscheint eine Gold schimmernde Wolke vor mir. Skeptisch begutachte ich die Szene vor mir, bis sich der Nebel lichtet. Levion tritt mit zufriedenem Lächeln und hinter dem Rücken verschränkten Armen aus den Nebelresten und sieht schmunzelnd auf mich herab.
„Levion..was machst du denn hier?", bringe ich erstaunt heraus, während ich mich noch immer fest im Griff der Projektion befinde.

Blind FireWhere stories live. Discover now