- Kapitel 32 -

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Während Ember die Festlichkeiten im Hauptquartier des schwarzen Rings über sich ergehen lässt und General Veros' Plan immer mehr Form annimmt, ist es auf dem Anwesen der Akelas still. Lediglich die leisen Schritte der Bediensteten sind hier und da zu hören.

Das tippelnde Geräusch seiner Fingerspitzen hallt durch den leeren Raum und erinnert nur noch mehr daran, dass Ember nicht hier ist. Mittlerweile haben sich bereits kleinere Abnutzungsspuren auf der massiven Tischplatte gebildet, so lange sitzt er nun schon hier in ihrem Zimmer und starrt aus der großen Fensterfront neben ihm. Auch wenn er selbst derjenige war, der Ember nicht anflehte hier zu bleiben, ihr nicht ausredete am Duell teilzunehmen und sie sogar jahrelang trainiert hatte, sie darauf vorbereitet hatte, so war er es nun, der sich von Sorgen geplagt in ihrem leeren Zimmer aufhielt und darauf hoffte sie bald gesund und unbeschadet wiederzusehen.
Sein Blick schweift über den in Dunkelheit getauchten, hinteren Teil des Gartens und lässt unweigerlich Erinnerungen aufblitzen. Mit einem Schmunzeln sieht er die kleine, neunjährige Ember vor sich, wie sie lachend über den saftig grünen Rasen springt. Ihre Augen funkeln vor Freude, da sie zum ersten Mal überhaupt völlig allein und ohne jegliche Hilfe eines Bediensteten durch den Garten spaziert. Er sieht sich selbst, wesentlich jünger als heutzutage, am Rande stehen. Im Schatten der riesigen Birke verfolgt er ihre tapsigen Schritte und sieht ihr zufrieden lächelnd dabei zu, wie sie ihre ersten Erfolge verzeichnet.

Leise lacht er auf und schüttelt den Kopf bei den vorüberhuschenden Szenen. Stolz erfüllt ihn wenn er an die letzten elf Jahre zurück denkt. Ember musste viel lernen, ihr Training war hart, keine Frage. Doch bereits als er sie zum ersten Mal traf erkannte er, wie stark sie schon damals war. Ihre Aura loderte, flimmerte, brannte förmlich. Er war sich sicher, dieses Mädchen würde selbst das härteste Training überstehen. Nicht weil sie solch unglaubliche magische Kräfte besaß sondern weil sie einen Funken in sich trug, der das Feuer in ihr schürte. Ihr Ehrgeiz und ihr Wille, sowie ihre Disziplin und ihr unbändiger Wunsch unabhängig zu sein waren schon seit jeher bemerkenswert. Sie brachte bereits von Anfang an alles mit sich, was es brauchte. Ihr toxisches Umfeld, angefangen bei ihrer Schwester Eliana bis hin zu den Adeligen, die sie entweder bemitleideten oder belächelten, ließen die Glut in ihr nur noch heißer wüten.

Tarik war kein Lehrmeister, keineswegs gebildet genug, um sich als solcher zu betiteln. Er war ein einfacher Waffenschmied aus dem fernen Königreich Trios, den es mehr oder weniger durch Zufall hier her verschlug. Nie hätte er damit gerechnet einmal zu unterrichten, zu lehren. Nie hatte er damit gerechnet mit solch einer besonderen Schülerin gesegnet zu werden.

Ein trauriges Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. Die Jahre verflogen geradezu. Ember wurde schneller erwachsen, als ihm lieb war. Er selbst wuchs mit fünf Brüdern auf, mit denen es nicht immer leicht war. Möglicherweise ist es gerade das, was Ember so besonders für ihn macht. Er sieht sie schon lange nicht mehr als Schülerin, nein, er hat sie bereits als kleine Schwester in sein Herz geschlossen. Als kleine Schwester, die er nie hatte.

Und nun ist sie fort. Gefahren ausgesetzt, die er nicht einmal seinem größtem Feind an den Hals wünschen würde. Ob sie zurecht kommt? Hatte er sie wirklich gut genug vorbereitet? Er weiß es nicht, er hofft es lediglich. Andererseits, was hätte er noch tun können? Er lehrte sie alles, was er wusste, alles was er konnte. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit und er verzieht besorgt sein Gesicht. Mittlerweile hat er seinen Blick auf ihr frisch bezogenes Bett gerichtet. Was wenn all das nicht ausreicht?

Er seufzt leise und schüttelt den Kopf. Natürlich reicht das nicht aus, doch das ist nicht schlimm. All das was noch fehlt, trägt Ember bereits in sich. Sie selbst wird es sein, die ihr Training ergänzen wird, es perfektionieren wird, es meistern wird – und zwar während des Duells, während sie ihren eigenen Weg geht.
Schmunzelnd fasst er sich ans Kinn und streicht sich dabei über die Unterlippe. Sie wird nicht mehr die Alte sein wenn sie wiederkehrt. Diese erste, wichtige Etappe ihres Weges wird sie prägen, sie verändern. Anders als zuvor jedoch bereitet dieser Gedanke ihm keine Magenschmerzen. Es besteht kein Zweifel, er ist sich sicher. Ember wird zu sich selbst und ihrer Kraft finden, weitaus mehr über sich hinauswachsen als sie es momentan für möglich hält.

Plötzlich knarrt der Messingtürknauf leise und reißt ihn aus seinen Gedanken, als kurz darauf eines der Dienstmädchen eintritt. Verblüfft starrt sie ihm entgegen und setzt im nächsten Moment ein mitfühlendes Lächeln auf.
„Sie fehlt euch sehr, nicht wahr, Meister Tarik?", richtet sie die Frage an ihn, während sie mit frisch gewaschenen Laken auf den Schrank zuschreitet. „Natürlich fehlt sie mir. Ich habe sie jeden Tag unterrichtet, sie jeden Tag um mich gehabt", seufzt er und senkt den Blick dabei.
„Seid unbesorgt, Sir. Sie wird sicherlich unbeschadet wiederkehren", meint sie aufmunternd. „Auch wenn sie scheitert-", beginnt sie gedankenverloren und starrt aus dem Fenster, ehe sie von Tarik unterbrochen wird.
„Sie wird nicht scheitern", grätscht er geistesabwesend dazwischen und ballt unwissend seine Hand zur Faust. „Sie ist stark und mehr als fähig. Ich weiß, dass sie es schaffen wird", fügt er hinzu und erntet einen überraschten Blick ihrerseits. „Nun..Lady Eliana ist sicherlich ebenfalls nicht zu unterschätzen..", druckst sie unsicher herum und entlockt ihm ein tonloses Schnauben.
„Ich habe Ember nicht beigebracht ihre Gegner leichtfertig zu behandeln. Ich habe sie gelehrt ihre Situation stets realistisch einzuschätzen, kalkulierte Risiken einzugehen und ihre Vorteile aus gegebenen Umständen zu ziehen. Wenn sie also eines mit Sicherheit nicht ist, dann ist es naiv oder leichtsinnig genug ihre Gegner zu unterschätzen", entgegnet er ihr ausdruckslos und sieht, wie das schüchterne und zierliche Dienstmädchen nervös schluckt. Natürlich weiß kein Angestellter des Hauses über Embers hartes Training Bescheid, genauso wenig, wie ihre Eltern. Es ist nachvollziehbar, dass jeder auf Eliana setzt was den Sieg angeht.
Dennoch, es missfällt ihm, dass jeder davon ausgeht Ember als Verlierer, ihrer Zauberkräfte beraubt, wiederzusehen. Er weiß besser als jeder andere, dass das nicht der Fall sein wird.
„Jetzt wo ihr es erwähnt..Lady Ember ist mir durchaus verändert vorgekommen..besonders in den Tagen bevor sie und Lady Eliana in die königliche Hauptstadt aufbrachen", meint die Blondine und sieht nachdenklich zur Seite. „Auch wenn die gesamte Belegschaft darauf setzt Lady Eliana als Siegerin begrüßen zu dürfen, so muss ich gestehen, dass ich es Lady Ember wünschen würde. Milady hat auch ein wenig Glück verdient", fügt sie nun schmunzelnd hinzu, ehe sie sich zur Tür begibt. „Ember wird den Sieg nicht durch Glück davontragen. Es wird ihr Können sein, welches sie letztlich zur Siegerin krönen wird", korrigiert Tarik mit einem breiten Grinsen, während das Dienstmädchen sich mit erröteten Wangen verneigt und mit einem Lächeln den Raum verlässt.

„Es wird dein hartes Training, all die schweißtreibenden Stunden und deine besondere magische Kraft sein..denn harte Arbeit und Disziplin wird Talent jedes Mal schlagen", flüstert er in den leeren Raum und trägt ein zuversichtliches Lächeln auf den Lippen.

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