- Kapitel 143 -

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Eliana POV

Eliana konnte die nächsten zwei Tage kaum abwarten. Als man sie am heutigen Tag endlich entlassen hatte und ihr gestatte zu gehen, sprang sie freudig auf und hetzte durch die Gänge des kargen Hospitals.
Der blauhaarige Magier wartet bereits draußen auf sie, als sie gemeinsam mit ihrem Begleiter durch die Türen stürzt.
„Lass uns keine Zeit verlieren", drängt sie und will bereits zum Gehen ansetzen, als sie sachte an der Kapuze ihres beigen Umhangs zurückgezogen wird.
„Nur langsam mit den jungen Pferden. Ich bringe dich zu ihm, wie versprochen, doch zunächst schlagen wir einen anderen Weg ein", meint er und zieht sie hinter sich her, während sie stolpernd folgt.
„Was? Aber du sagtest doch, dass-", protestiert sie und versucht sich aus seinem Griff zu winden. Dabei rutscht ihr das weiße Shirt, welches sie eigentlich in die beige Leinenhose gestopft hat nach oben. Die Sachen sind ihr um einiges zu groß, weshalb sie auch die Hosenbeine mithilfe von Schnüren enger gebunden hat. Das einzige, was ihr ansatzweise passt sind die dunkelbraunen Sandalen, die sie ebenfalls gestellt bekommen hat. Noch nie hatte sie solch eine Art von Schuhen getragen. Es hat sie eine halbe Ewigkeit gekostet, um sie überhaupt richtig anzuziehen.
„Glaube mir..ich weiß selbst nicht wieso ich dich dorthin mitnehmen soll. Eigentlich hast du dort nichts verloren, doch ich befolge lediglich die Befehle des Ältesten", kontert er, woraufhin Eliana die Stirn in Falten legt.
„Wo genau gehen wir denn hin?", hakt sie nach und hört nur ein lautstarkes Seufzen seinerseits. „Heute findet die Beisetzung der Verstorbenen statt. Benimm dich einfach nicht wie ein wildgewordenes Kamel. Schaffst du das?", erklärt er, woraufhin Eliana die Augen weitet und schweigend nickt. Midan hingegen quittiert dies nur mit einem stummen Nicken und lässt von ihr ab.

Die Blondine öffnet staunend den Mund, als sie das ganze Dorf auf einer Art Marktplatz der Siedlung versammelt sieht. Allesamt stehen in Stille vereint nebeneinander und haben die Blicke gesenkt. Weiße Blumen sind um die Leichname der Verstorbenen gelegt und die weichen Polster unter ihnen erwecken den Eindruck, als würden sie lediglich schlafen. Der Blauhaarige hat recht. Sie hat hier wirklich nichts verloren. Niedergeschlagen senkt sie den Blick und bleibt etwas abseits der Masse stehen.
„Ich bleibe lieber hier..", meint sie kleinlaut und verschränkt die Hände vor sich.
„So viel Feingefühl hätte ich dir gar nicht zugetraut", kontert der Magier ausdruckslos und gesellt sich in die erste Reihe neben Orion.
Ein grauhaariger alter Mann tritt nach vorn und ist in seinen weißen Umhang gehüllt. Sein Gehstock versinkt dabei immer wieder ein Stück weit im Sand. Mit langsamen Bewegungen dreht er sich der Menge zu und senkt ebenfalls den Blick für einen Moment, ehe er tief Luft holt. „Die Straßen sind am heutigen Tag mit Trauer gepflastert. Die Sandkörner unter unseren Füßen tragen unsere Tränen in sich. Abschied zu nehmen ist Teil unseres Lebens, auch wenn es uns nicht gefällt. Viele mutige Magier haben ihr Leben gegeben. Sie haben ihr Leben gegeben für unsere Siedlung, für ihre Familien, für ihre Kameraden und Freunde. Für unser Leben. Lasst uns ihr Opfer ehren indem wir den Weg weitergehen. Den Weg, den sie geebnet haben. Die Kestrels sind kein großer Clan, doch wir sind ein stolzer Clan. Sie sind mit Ehre im Herzen und Würde in der Seele von uns gegangen. Sie waren gute Ehepartner, liebende Mütter und Väter, stolze Söhne und Töchter, weise Lehrer. Sie hinterlassen mehr als nur Trauer und ehrenhafte Taten. Sie hinterlassen unzählige Erinnerungen. Erinnerungen, die uns keiner nehmen kann. Es wird nie wieder so sein, wie es früher war, da ein Teil von uns nun fort ist. Doch..sie bleiben für immer ein Teil von uns. So lange wir sie nicht vergessen werden sie niemals von dieser Welt verschwinden! Sie wachen über uns und beschützen uns von jenem Ort aus. Jenem Ort, der sie in Frieden ruhen lässt", beendet er seine Trauerrede, die Eliana beinahe die Tränen in die Augen treibt. Solch wunderschöne Worte hatte sie noch nie zu Ohren bekommen. Sie sind voller Stolz und Anerkennung. Selbst ein solch grausamer Mensch wie sie kann deutlich erkennen, welch große Wertschätzung in den Worten liegt. Nicht nur in den Worten des Ältesten. Auch die Menschen um sie herum strotzen neben all der Trauer vor Stolz und Anerkennung.
Ob es wohl auch nur einen einzigen Menschen auf dieser Welt gibt, der ihr auch solch großen Respekt erweisen würde?
Plötzlich erheben sich einige junge Männer, darunter auch Orion und der blauhaarige Magier. Mit bedrückten Gesichtern stellen sie sich in einer Reihe vor den Verstorbenen auf. Ein Magier tritt als erster vor und ballt die vernarbte Hand zur Faust.
„Matera..du warst eine der stärksten Magierinnen unserer Siedlung. Eine Kämpferin, ein sturer Kopf..Doch allem voran warst du unsere Lehrmeisterin. Du hast dein Wissen mit uns geteilt, deine Techniken an uns weitergegeben. Du warst es, die unsere Wunden versorgte, uns in unzähligen Kämpfen den Hintern gerettet hat, mit uns geschumpfen hat, als wir noch Kinder waren und den anderen Klassen Streiche spielten. Du sollst wissen..", richtet er sein Wort an die Frau auf dem weichen Polster vor ihm. Er ringt nach Luft und fasst sich betroffen an die Brust, woraufhin der Magier neben ihm eine Hand auf seine Schulter legt. „Egal wie alt wir auch sein mögen, wie alt wir noch werden, wir werden immer deine Schüler bleiben, Meisterin Matera", beendet er seine Ansprache mit glasigen Augen und verneigt sich tief. Zwei der weiteren Männer tun es ihm gleich, wohingegen Orion und Midan ihre Hand ans Herz führen und sich respektvoll nach vorn beugen.
Mit großen Augen beobachtet Eliana die Szenen vor sich und kann ihre Trauer kaum zurückhalten. Auch wenn sie keinen der hier Anwesenden, keinen der Verstorbenen kannte, kann sie deutlich sehen, welch großartige Menschen sie gewesen sein müssen. Sie schluckt schwer und senkt anerkennend den Kopf. Eine solche Bindung hatte sie zu keinem ihrer Lehrmeister verspürt. Plötzlich schießen ihr Erinnerungen an Ember und Tarik durch den Kopf. Sie hatte ihre Verabschiedung belauscht und hatte sich damals schon gefragt, weshalb sie solch ein starkes Band teilen.
Ist das etwa die gleiche Bindung? Fühlen Ember und diese Magier hier etwa das Gleiche?

Orions Bewegung reißt sie aus ihren Gedanken, weshalb sie sich erneut auf das Geschehen fokussiert. Auch der Blauhaarige Magier erhebt sich und stellt sich stumm neben seinen Kameraden. Die beiden stehen vor dem braunhaarigen Leichnam, der ebenso wie die anderen in weiß gekleidet ist. Eliana verzieht betrübt ihr Gesicht. Dieser Mann war keineswegs alt. Er war vermutlich sogar um einiges jünger, als ihr Vater. Seine Statur zeugt von Kraft und Energie, lediglich die bleiche Farbe seiner Haut zeigt, dass das Leben ihn verlassen hat.
„Was versteht ihr von Schmerzen, was wisst ihr von Leid? Die Hände voller Blut und die Haut voller Narben. Das waren die ersten Worte, die du damals an uns gerichtet hast. Damals, als du das Training der Fortgeschrittenen übernommen hast. Anfangs noch zu dritt. So naiv und jung, dachten die Welt gehöre uns. Wir dachten, wir hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen und seien stark genug es mit jedem aufnehmen zu können. Als Jajiro von uns ging, hast du uns die Augen geöffnet. Wir haben es dir nicht leicht gemacht, dich verspottet und dennoch hast du uns den Weg gezeigt. Nur noch zu zweit haben Midan und ich uns geschworen dich stolz zu machen", erklingt Orions Stimme fest und mit betrübtem Unterton. Midan legt derweil eine Hand auf die Schulter seines Kameraden und senkt den Blick. „Wir haben uns geschworen dir eines Tages all das, was du uns gegeben hast zurückzugeben. All die zähen und langweiligen Nachmittage auf Patrouille malten wir uns aus, wie wir dir eines Tages den Hintern retten würden. Wie wir deine beiden Söhne unterrichten würden und ihnen nur Blödsinn beibringen würden. Wir lachten uns kaputt bei all den Gedanken an die Zukunft. Du hast uns durch all die harten Prüfungen des Lebens bisher begleitet. Selbst, als wir schon lange nicht mehr deine Schüler waren, hattest du dennoch immer ein offenes Ohr für uns. Wir waren Teil deiner Hochzeit, Teil der Geburt deiner Kinder, Teil deiner glücklichsten Tage im Leben sowie auch Teil deines letzten Tages. Letztendlich konnten wir dich nicht retten, dir keine Hilfe sein, dir nichts zurückgeben. Unser Herz schmerzt bei der Erinnerung dich im Blutbad liegen zu sehen, wie deine Seele deinen Körper verließ. Zu wissen, dass du nicht dabei sein wirst..bei unserer Hochzeit, bei der Geburt unserer Kinder und auch nicht am letzten Tag unseres Lebens. Du gingst viel zu früh und wir wussten der Weg wird nicht leicht, doch wir werden auf dich warten, Lycris. Wenn wir unseren letzten Atemzug nehmen, wirst du bei uns sein. Du wirst uns verschmitzt lächelnd ansehen und uns die Hand entgegenstrecken. So wie du es immer getan hast wenn wir mal am Boden lagen. Es ist, wie du immer sagtest..Alles voller Blut auf den Wegen die wir gehen, doch wir gehen sie gemeinsam", beendet Midan die Trauerrede für ihren verstorbenen Lehrmeister, was Eliana erneut eine Gänsehaut einbringt. Sie empfindet tiefste Bewunderung für diese Menschen. Sie alle haben etwas erreicht im Leben, haben andere dazu bewegt etwas aus sich zu machen. Sie haben aktiv Einfluss genommen. Wenn sie recht darüber nachdenkt hatte sie jedem bisher immer nur das Leben schwer gemacht. Ein Gefühl von Schande überkommt sie. So stolz und erhaben, wie sie sich einst fühlte, so miserabel kommt sie sich nun vor. Sie hat nichts vorzuweisen. Die strahlende zukünftige Repräsentantin des Hauses Akela. Nichts als Schall und Rauch.

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