- Kapitel 56 -

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Eine lange Phase der Stille folgt, bis er schließlich tief Luft holt.
„Du verstehst nicht Ember..ich wollte es dieses Mal richtig machen..meinen Bindungspartner beschützen..", murmelt er niedergeschlagen und zieht seine Hand aus meiner.
Verwirrt schiebe ich die Brauen zusammen. Er hat recht. Ich verstehe wirklich nicht.
„Ich nehme an du weißt, dass ich einen Bruder habe, nicht wahr?", fragt er mich plötzlich zusammenhangslos, woraufhin ich perplex nicke. „Mein Bruder, Samuel, nahm vor einigen Jahren ebenfalls am Duell teil. Damals bin ich erst frisch zum General erklärt worden. Es war das erste Mal für mich, das Duell aus der Sicht eines Generals zu beobachten. Ich war wahnsinnig stolz auf Samuel und fest entschlossen sein Bindungspartner zu werden. Anfangs lief es auch hervorragend für uns. Er schlug sich wirklich brillant..genauso wie es sich für einen Kalen gehört", erklärt er mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen. „Doch..er scheiterte an der dritten Etappe. Die damalige Aufgabe bestand daraus, gegen die verbliebenen Teilnehmer in zweier Duellen anzutreten. Derjenige, der als letztes übrig blieb hätte gewonnen.
Samuel war motoviert, beinahe nicht zu bremsen. Ich lachte darüber und schüttelte meinen Kopf über sein Verhalten. Genauso schnell verging es mir allerdings wieder..Leider zog er während des Zweikampfes gegen einen Erdmagier den Kürzeren..er wurde stark verletzt und es war eine ganze Weile nicht sicher, ob er es überstehen würde..", erzählt er, wie in Trance und schwelgt dabei in schmerzhaften Erinnerungen, was mir beinahe das Herz brechen lässt.
„Ich hörte von dem Unfall, doch es drang nichts genaues an die Öffentlichkeit..", murmle ich verlegen, da ich nicht weiß, was man in solch einer Situation zu sagen hat.
„Unsere Familie wollte nicht, dass der Name Kalen in den Schmutz gezogen wird, deshalb hielten sie die wahren Umstände geheim..Dabei ist es keineswegs eine Schande! Er hat wirklich alles gegeben..Ich war derjenige, der versagte..", zischt er wütend. „Ich hätte ihn beschützen müssen! Es war meine Aufgabe ihn zu decken, nicht seine. Er war für die Angriffe zuständig, ich für die Verteidigung..so war es abgemacht..doch ich habe den Gesteinsbrocken zu spät kommen sehen..ich hatte keine Chance mehr ihn abzuwehren..Er traf ihn direkt am Kopf, woraufhin er augenblicklich auf den Boden sank. Als er nicht wieder aufstand wusste ich, dass es aus war. Ohne zu zögern teleportierte ich uns auf die Krankenstation. Das er dadurch disqualifiziert wurde war mir in dem Moment vollkommen egal. Alles, was ich wollte war, dass er seine Augen wieder öffnet. Mich anbrüllt, mir einen Schlag verpasst, egal was..er sollte einfach wieder aufwachen, doch das tat er nicht.
Seither versorgt man ihn in einem abgelegenen, privaten Krankenpflegeheim", klärt er mich auf, woraufhin ich einen tiefen Seufzer unterdrücke. Überfordert mit der Situation weiß ich nichts Besseres zu tun, als nach seinen beiden Händen zu greifen und sie fest zu umschließen.
„Es tut mir schrecklich leid für dich und deinen Bruder, doch du sollst wissen, dass du in meinen Augen keine Schuld trägst. Ich bin mir sicher, dass auch Samuel dir keine Vorwürfe macht. Sowie er, hast auch du dein Bestes gegeben, doch manchmal reicht das eben nicht aus", entgegne ich ihm ehrlich und versuche ihn dazu zu bringen mich anzusehen. „Genau deshalb wollte ich nie wieder eine Bindung eingehen. Nie wieder sollte jemand aufgrund meiner Unfähigkeit verletzt werden..und nun sieh dich an..du liegst mit Schmerzen hier in deinem Bett, kaum fähig aufzustehen. Ich habe das Gefühl, die Vergangenheit wiederholt sich. Du hast etwas Besseres verdient, als das. Das ist so unfair", knirscht er bedrückt und verzieht angesäuert das Gesicht. Ich hingegen schüttle den Kopf und seufze. „So hart das jetzt auch klingen mag, doch das Leben ist nicht fair. Es ist schonungslos..erbarmungslos", flüstere ich mit gesenktem Blick, ehe ich meine Hand auf seine Wange lege und ihn zwinge seinen Kopf zu mir zu drehen.
„Doch man darf sich davon nicht unterkriegen lassen. Egal wie oft dich das Leben auf den Boden donnert..du musst jedes Mal wieder aufstehen. Dir das Blut abwischen und weitermachen. Lass dir dein Lächeln und dein Feuer nicht nehmen. Beweise jedem gottverdammten Menschen und dir selbst, dass du alles schaffen kannst, was du dir vornimmst. Es spielt keine Rolle, wie oft du dabei scheiterst. Entscheidend ist letztendlich nur, dass du dein Ziel erreichst. Wie du das anstellst ist völlig egal.
Und wenn du die Ziellinie kriechend erreichst.
Ich kenne deinen Bruder zwar nicht, doch ich bin mir sicher, dass auch er nicht wollen würde, dass du dich aufgibst.", fahre ich eisern fort und sehe ihm dabei eindringlich in die Augen.

Ich balle meine freie Hand zur Faust und seufze mit geschlossenen Augen.
„Agira, aufhellen", befehle ich meinem Artefakt, ehe ich meinen Blick hebe.
„Es gibt immer einen Weg. Du musst ihn nur finden. Du musst ihn finden und ihn zu deinem Weg machen", rede ich ihm ins Gewissen, in der Hoffnung mein Blick würde ihm zeigen, wie ernst es mir ist. Er soll sehen, dass selbst jemand wie ich nicht aufgibt. Dass selbst ich einen Weg gefunden habe. Ich möchte nicht, dass er sich selbst so quält. „Es ist nicht deine Schuld..nichts von alledem. Das, was deinem Bruder geschehen ist..das, was mir geschehen ist..das alles ist nicht deine Schuld. Du bist kein Versager..Du bist nicht unfähig. Ich bin froh, dass ich dich an meiner Seite habe und keinen der anderen Generäle. Ich möchte niemand anderes weil ich mich nur bei dir sicher fühle. Ich kann nur mit dir gewinnen, verstehst du?", entkommen mir die Worte verzweifelt, während ich mit meinem Daumen über seine Wange streiche.

Mit offenem Mund und starrem Blick sieht er mir entgegen, fokussiert meine Augen, die er zum aller ersten Mal in ihrer wahren Farbe zu Gesicht bekommt. Seine Brauen sind in die Höhe gezogen und er wirkt sprachlos. Dabei würde ich mir nichts sehnlicher wünschen, als seine Stimme zu hören. Worte, die mich aufatmen lassen würden.

„Ember ich-", haucht er, während er mich noch immer durchdringend mustert. Er schließt seine Lippen erneut und senkt mit einem zarten Lächeln den Blick. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll..", gesteht er verlegen, während sich eine sanfte Röte über seine Wangen legt. Überrascht blinzle ich einige Male, da es das erste Mal für mich ist ihn so zu sehen. Er umfasst meine Hand an seiner Wange mit seiner. Ein wohliges Seufzen entkommt ihm, ehe er seine Augen erneut aufschlägt. „Ich habe gewusst, dass du stark bist, doch..damit habe ich nicht gerechnet", meint er und lacht leise auf. „Für dein zartes Alter bist du erstaunlich weise..Du kannst sogar einem alten Greis, wie mir noch etwas beibringen", fügt er grinsend hinzu, woraufhin ich lauthals auflache.
„Nun tu mal nicht so, als wärst du bereits achtzig", presse ich zwischen zwei Lachern hervor. „Auch ich habe diese Weisheiten nicht mit Löffeln gefressen. Mein Lehrmeister brachte mir diese Sichtweisen näher. Genaugenommen hat also er dir etwas beigebracht", erkläre ich verschmitzt und hebe dabei einen Finger.
„Ist dein Lehrmeister, denn bereits achtzig?", kontert er mit verengten Augen und lässt mich verstummen.
„Nein er..ist fünfunddreißig", stammle ich nachdenklich, da ich tatsächlich für einen Moment darüber nachdenken musste, wie alt Meister Tarik ist.
„Nun..immerhin ist er älter, als ich..Das lasse ich noch gerade so durchgehen", entgegnet Alastair mir schulterzuckend, ehe er den Griff um meine Hand verstärkt.
„Vielen Dank Ember..Deine Worte bedeuten mir sehr viel. Ich werde mich bemühen dir ein besserer Bindungspartner zu sein..Einer, der dich wirklich beschützt. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt", meint er mit aufrichtigem Blick und einem Funkeln in den Augen, welches die Sterne des Nachthimmels blass aussehen lässt.

Blind FireWhere stories live. Discover now