-Kapitel 193 -

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Alastair bindet sich die schwarze Krawatte um den Kragen und schielt zu Ember, die sich wortlos ihr schwarzes Kleid über den Körper zieht.
Die letzten Tage waren surreal.
Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Auch wenn sie dank Nathaniels Geständnis alle wieder vereint waren, fehlte jemand.
Salem hat eine große Lücke hinterlassen.
Nicht nur in Embers und seinem Herzen. Auch in den Herzen der anderen. Er weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen.
Hera, die auf den Boden sackte.
Dewi, der lautstark den Tränen freien Lauf ließ. Raven, der schockiert seine Augen weitete.
Darko und Ray, die sich von Vorwürfen quälen ließen.
Jasper, der von alledem am Krankenbett erfahren hatte, da auch er schwer verletzt von den anderen zurückgebracht wurde.
Er ist noch nicht wieder richtig zu sich gekommen. Dennoch hat er sich heute unter Höllenschmerzen aus dem Bett gequält. Mithilfe seiner Krücken schafft er es zumindest ein paar Schritte zu gehen.
Seufzend sieht der dunkle Magier in den Spiegel. Über ein Jahr ist es her, dass er in diesen Spiegel sah. So viel Zeit ist vergangen.
So vieles hat sich geändert.
Wie lange fieberte er auf den Tag hin, an welchem er gemeinsam mit Ember hier stehen würde. Zusammen mit ihr in seinem Zimmer. Zusammen mit ihr. Nicht als Kameraden, nicht als Bindungspartner und Teilnehmer. Sondern als Paar. Doch auch wenn er vor Sehnsucht beinahe verkommen wäre..er wäre noch länger im Kerker geblieben wenn das bedeuten würde, dass Salem noch unter ihnen weilen würde.
Er schüttelt diese Gedanken ab.
Heute ist der Tag an welchem sie Salem und den anderen gefallenen Kameraden die letzte Ehre erweisen werden. Er sieht Salem in Gedanken den Kopf schütteln, ehe er ihn tadelt. Ein trauriges Grinsen bildet sich auf seinen Lippen. Er weiß genau, was er ihm sagen würde. Alastair legt Salem noch immer in Gedanken die Hand auf die Schulter und bringt ihn somit zum Schweigen.
„Ich weiß", haucht er und sieht ihm mit erhobenem Mundwinkelentgegen. „Weißt du..ich hätte mir nur gewünscht dich an meiner Seite zu haben wenn ich Ember eines Tages einen Antrag mache. Ich hätte dich gern zu einem meiner Trauzeugen gemacht", fügt er hinzu und sieht Salem die Brauen heben. Er versucht die Beherrschung zu bewahren, weshalb er sein Gesicht seltsam amüsant verzieht.
„Ja genau so habe ich dich in Erinnerung", lacht er, ehe er aus seinem Tagtraum erwacht.

„Bist du soweit?", fragt er an Ember gerichtet, ehe er seine Arme sachte um ihren Körper legt. Die Feuermagierin sieht ihm mit glasigen Augen entgegen, ehe sie nickt.
„Ja", entgegnet sie und legt ihren Kopf auf seiner Brust ab. „Ob er uns wohl zusieht?", haucht sie, während Alastair über ihre Wange streicht.
„Mit Sicherheit. Vergiss nicht über wen wir hier sprechen", meint er lächelnd und verschränkt seine Finger mit ihren. „Nicht einmal der Tod könnte ihn von uns fernhalten. Dafür ist er viel zu neugierig. Ich bin mir sicher er jubelt gerade auf der anderen Seite und freut sich, dass wir beide uns endlich wieder haben", fügt er hinzu und entlockt Ember ein leises Lachen.
„So wird es sein", meint sie und wird von ihm in den Arm genommen.
Sie schließt die Augen für einen kurzen Moment. Als sie sich soeben von Alastair lösen will sieht sie Salems leuchtender Erscheinung direkt in die Augen. Er steht einige Meter weit von ihnen entfernt und hat die Arme hinter dem Rücken verschränkt.
Embers Mund öffnet sich einen Spalt weit. Fassungslos sieht sie ihm entgegen.
Der Rotschopf trägt ein breites Lächeln auf den Lippen, ehe er freudig die Augen schließt. Sein Blick gleitet nach links, ehe auch Hellion sich in ihr Blickfeld schiebt. Salem streckt seine Hand nach ihm aus und streicht ihm über die Rippen. Hastig schließt Ember ihren Mund wieder und versucht die Beherrschung nicht zu verlieren.
Ihr Lächeln ist von Trauer gezeichnet, doch es ist echt.
Salem nickt ihr noch immer lächelnd zu, ehe er sich respektvoll vor ihr verneigt. Gerührt von seiner Ehrerweisung macht ihr Herz einen Satz. Die beiden Erscheinungen beginnen allmählich zu verblassen. Ember mimt ein tonloses „Auf Wiedersehen" mit ihren Lippen und erhält ein stummes Nicken der beiden Feuerwesen, als sie auch schon fort sind.

„..und mit diesen Worten verabschieden wir uns von unseren Kameraden. Von unseren Freunden, unserer Familie. Auf dass sie voller Stolz auf uns herabsehen, uns leiten und beschützen. Uns ihre Kraft leihen wenn wir schwach sind. Uns den Rücken stärken wenn wir uns allein behaupten müssen. Die Wand hinter uns einreißen wenn wir mit dem Rücken gegen sie gedrückt werden. Bis wir uns wiedersehen wird für den ein oder anderen mehr oder weniger Zeit vergehen, doch das Ende unserer Reise wird uns immer wieder zusammenführen. Jedoch..bis dahin..halten wir die wertvollen Erinnerungen mit ihnen in Ehren. Tragen wir sie im Herzen bis sie uns während unseres letzten Atemzugs zur Seite stehen. Bis sie uns abholen kommen. Bis sie uns zu ihnen holen. Gehen wir erhobenen Hauptes durchs Leben in dem Wissen, wie viele tapfere Magier ihres gegeben haben um uns diese Chance zu ermöglichen. Lasst uns unser Leben genießen, immer mal wieder ein Glas für sie heben und sie so in Erinnerung behalten, wie sie waren", beendet Hale die Grabesrede und tritt vom Podest herab. Er schreitet andächtig vor die aufgereihten Särge. Er verneigt sich tief und erlaubt sich einen Moment der Trauer.
Eliana hingegen steht neben Midan in einer der hinteren Reihen und lehnt sich in Erinnerung schwelgend gegen seine Schulter. Es ist noch nicht lange her, als sie der Beerdigung des Kestrels beiwohnte. Nie hätte sie gedacht, dass sie sich so schnell wieder in solch einer Situation wiederfindet. Midan schielt besorgt zu ihr herab und legt einen Arm um sie.
Hera und Dewi halten sich leise schluchzend in den Armen, während auch Ray und Darko mit den Tränen kämpfen. Raven steht neben dem noch immer verwundeten Jasper, der mit leerem Blick auf Salems Sarg stiert. Er erinnert sich daran, wie Ember die Gruppe zusammenrief. Nachdem er endlich wieder bei Bewusstsein war meinte sie, dass nun der richtige Zeitpunkt wäre, um Salems letzte Worte weiterzugeben. Er erinnert sich daran, wie schwer sein Herz wurde. Die Trauer, die ihn überwältigte.
Nie wieder würde er mit ihm sprechen können. Nie wieder mit ihm kämpfen können.
Nie wieder mit ihm spielen können.
Nathaniel, Kiana und Kenny stehen etwas abseits der Trauernden und haben die Blicke gesenkt. Keiner der drei sagt ein Wort. Keiner wüsste, was man in solch einer Situation überhaupt sagen sollte. Das Königreich Adaron erwies ihnen Gnade, erlaubte ihnen sogar hier zu bleiben, Teil des schwarzen Rings zu werden wenn sich ein General für sie entscheiden würde. Als Dank für ihre Hilfe während der Schlacht sowie für die Auslieferung des wahren Strippenziehers des Attentats. Anfangs wussten die drei nicht, wie sich entscheiden sollten, ob sie dieses Angebot überhaupt annehmen konnten. Ob es nicht respektlos wäre, doch General Sekurion wusch ihnen ordentlich den Kopf. Auch wenn sie nicht damit rechneten, dass ein General sie in seinen Reihen haben wollte, wurden sie eines Besseren belehrt. Alastair hatte ihnen angeboten einen von ihnen aufnehmen zu können, nun da ein Platz frei geworden war, doch sie wollten sich nicht trennen. Schließlich sind auch sie eine eingeschworene Gruppe. Letztlich hat General Sorin sich dazu bereit erklärt sie mit weit ausgebreiteten Armen aufzunehmen.
Chronus kam auf diese Weise nun endlich zu seinen Feuermagiern, was ihn überlegen grinsen ließ. Heute jedoch hat auch er einen ernsten Gesichtsausdruck aufgelegt. Er und Salem waren keine besten Freunde.
Bei weitem nicht.
Dennoch..seinen langjährigen Rivalen verloren zu haben stimmte auch den blonden Zeitmagier traurig. Er hätte ihm gern ein langes Leben gewünscht. Gerne noch öfters in Trainingskämpfen gegen ihn gekämpft. Gern noch öfters vor ihm angegeben wie fantastisch das Hauptquartier seines Trupps ist.
Wer weiß..vielleicht wären sie eines Tages ja doch noch gute Freunde geworden?
Auch Kairyan und Arryn stehen in den vordersten Reihen dicht neben Ember und haben die Hände vor sich gefaltet. Auch wenn es ihnen nicht bewusst war, war die Gefahr der Schlacht immer nur einen Schritt hinter ihnen. Sie haben es tief in den Hinterkopf verbannt. Nur so konnten sie furchtlos kämpfen. Dennoch..allein der Gedanke daran den jeweils anderen hier liegen zu sehen schnürt ihnen die Kehle zu. Arryn schiebt die Brauen zusammen und ergreift Kairyans Hand. Auch der Glasmagier drückt die Hand seines Partners fest. Er könnte es nicht ertragen wenn Arryn oder Ember in einem der Särge liegen würden.
Niemals würde er das zulassen.
Er schwört sich alles in seiner Macht stehende zu tun, um diesen Anblick niemals sehen zu müssen. Diese drückende Trauer nie in der Brust spüren zu müssen.
Auch Ember und Alastair haben ihre Hände ineinander verschlungen, als sie ihren Kameraden die letzte Ehre erweisen, sich zum letzten Mal respektvoll vor ihnen verneigen.

Blind FireWhere stories live. Discover now