- Kapitel 119 -

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Die Reihen im Speisesaal lichten sich bis lediglich mein Trupp übrig ist. Gemütlich sitzen wir am hinteren Kopfende des Tisches und genießen den ausklingenden Abend. Hera und Jasper lachen über einen wahrlich dummen Scherz seitens Dewi, während Raven nur den Kopf darüber schüttelt. Salem stimmt leise lachend mit ein und erhebt sein Glas auf Dewi, der es ihm breit grinsend gleich tut. Ray und Darko führen die Konversation fort und erzählen von einem vorangegangen Auftrag, den sie alle gemeinsam ausführten, lange bevor ich Teil des Trupps wurde. Die beiden lachen im nächsten Moment hell auf.
Aus diesem Blickwinkel, genau jetzt im Moment, sehen sie sich tatsächlich sehr ähnlich. Noch nie ist es mir so stark aufgefallen, wie gerade jetzt, als wir unter uns sind. Als wir in engstem Kreise zusammensitzen. Das Gespräch mit dem Rothaarigen kommt mir wieder in Erinnerung und ich lasse das Gesagte Revue passieren. Seufzend senke ich den Blick und hadere mit mir. Sie alle teilen so viele Erinnerungen, so viele Geheimnisse. Jeder von ihnen wirkt glücklich auch wenn ihre Vergangenheit nicht sonderlich rosig aussieht.
Womöglich hat Salem recht.
Dieser Trupp, dieser Zusammenhalt ermöglicht es ihnen so unbeschwert zu sein und die Zeit gemeinsam zu genießen. Ich räuspere mich und habe den Blick weiterhin auf den Boden gerichtet.
„Ich..würde den Moment in dem wir unter uns sind und so gesellig beieinander sitzen gerne nutzen, um euch etwas zu sagen", beginne ich unsicher, ehe ich es mir anders überlege und erhalte umgehend die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Neugierig und teils verwirrt sehen sie mir entgegen.
„Schieß los", meint Dewi und rutscht gespannt auf seinem Stuhl weiter nach vorn.
„Zunächst einmal möchte ich mich dafür bedanken, dass ihr mich so liebevoll bei euch aufgenommen habt. Ich weiß, das ist bereits einige Wochen her, doch ich glaube ich habe es euch noch nie gesagt", fahre ich fort, während sich ein Lächeln auf den Gesichtern der Anderen bildet.
„Selbstverständlich! Du gehörst doch jetzt zu uns", entgegnet Jasper lachend und nippt an seinem Weinglas.
„Für mich ist das alles nicht selbstverständlich..Ich weiß, dass ich oftmals sehr abweisend und kühl wirke. Für den Großteil meines Lebens war das auch tatsächlich so, doch seit ich euch kennenlernen durfte hat sich mein Leben zum Besseren verändert. Ich kann es vielleicht nicht so gut zeigen, doch ihr sollt wissen, dass ihr mir alle sehr viel bedeutet", erkläre ich und ringe mir ein Lächeln ab. Erstaunt blicken sie mir entgegen, ehe sie sich wieder fangen.
„Ember..das freut uns wirklich sehr! Du bist in der letzten Zeit auch zu einem wesentlichen Bestandteil von uns geworden. Du zählst zur Familie", wirft Hera ein, die scheinbar als erstes ihre Stimme wieder gefunden hat. „Darf ich fragen, weshalb du Probleme damit hast deine Empfindungen auszudrücken?",  möchte sie wissen und sieht mir mit Vorsicht fragend entgegen. Seufzend lasse ich den Kopf ein Stück nach vorn fallen und schließe meine Augen dabei.
„Ehrlich gesagt kenne ich es nicht anders. Versteht mich nicht falsch..meine Eltern haben mich liebevoll erzogen und mir jeden Wunsch erfüllt, doch..", beginne ich und seufze erneut, da mir diese Situation äußerst unangenehm ist. Es fühlt sich seltsam an, doch ich muss es aushalten. Ich will mich ihnen öffnen. Ich möchte es so, daher zwinge ich mich dazu dieses Gefühl zu ignorieren.
„Wie ihr wisst bin ich blind geboren worden. Mein ganzes Leben verbrachte ich in Dunkelheit. Als das arme blinde Mädchen wurde ich dementsprechend verhätschelt und übermäßig behütet. Meine Eltern taten alles dafür mich vor der Welt zu beschützen. Ich denke, dass das auch der Grund für den Groll meiner Schwester ist. Eliana spielte immer die zweite Geige, was ihr vermutlich irgendwann zu viel wurde. Sie begann mich zu hassen und zeigte mir das auch mehr als deutlich. Auch ich begann Abneigung ihr gegenüber zu empfinden. Erst seit kurzem habe ich damit begonnen ein wenig anders über die Geschehnisse zu denken. Selbstverständlich halte ich es nach wie vor für falsch, wie sie sich mir gegenüber aufgeführt hat, doch..ich fange allmählich an sie zu verstehen. Es muss hart für sie gewesen sein nie die Priorität Nummer Eins bei unseren Eltern gewesen zu sein. Daher war sie wahrscheinlich auch so überaus erfreut darüber, als unsere Eltern in Erwägung zogen mich zu verheiraten, damit für mein Wohlergehen gesorgt sei. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte ich bereits einen Entschluss gefasst. Seit ich ein kleines Mädchen war und mein Lehrmeister mir vom schwarzen Ring erzählte, setzte ich alles daran ein Teil davon zu werden. Ich wollte nichts mehr, als mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich wollte selbst über mich bestimmen und den goldenen Käfig, in dem ich steckte, hinter mir lassen. Dafür war es aber notwendig meine Fassade so lange aufrecht zu erhalten, bis ich bereit dazu war. Das bedeutete aber auch meine wahren Empfindungen und Gedanken immer für mich zu behalten. Das war mitunter eines meiner wohlbehütetsten Geheimnisse. Der Einzige, dem ich vertraute war mein Lehrmeister, Tarik. Er war derjenige, der mir alles beibrachte, um eine Chance auf den Sieg des Duells zu haben", fahre ich fort und sehe in erstaunte Gesichter.
Raven und Darko fragen mich noch eine Weile über Tarik aus und auch Salem sowie die anderen lauschen der Erzählung über mein schweißtreibendes Training und den damit verbundenen Schwierigkeiten interessiert.
„Ich verstehe..Tarik hat dich also gelehrt zu sehen, ohne auf dein Augenlicht angewiesen zu sein. Er scheint wahrhaft ein weiser Mann zu sein", wirft Salem ein, woraufhin ich lächelnd nicke.
„In der Tat. Tarik ist ein unfassbarer Magier. Es betrübt mich nach wie vor, dass er in seine Heimat zurückgekehrt ist..auch wenn ich es verstehen kann", bestätige ich.
„Aber auch dein Artefakt ist der Wahnsinn! Ich habe mich ohnehin schon gefragt, wie du das anstellst", mischt sich Dewi nun ein und erntet zustimmendes Nicken seitens Ray.
„Ein Artefakt, welches ein Sinnesorgan ausgleicht ist tatsächlich einzigartig", pflichtet er dem kleinen Blondschopf bei.
„Jetzt weiß ich aber auch, weshalb ich deine Schwester auf Anhieb nicht leiden konnte. Dieses Mädchen war mir augenblicklich unsympathisch, als du während der ersten Etappe auf sie trafst", merkt Hera nachdenklich an.
„Ich habe sie auch nicht leiden können und das tue ich noch immer nicht. Wie konnte sie es wagen dir all die Jahre über solche Probleme zu bereiten?", zischt Darko und ballt seine Hände zu Fäusten. Auch Dewis Gesicht verdunkelt sich. „Wenn sie mir jemals über den Weg läuft sollte sie besser ihre Beine in die Hand nehmen", murrt er, woraufhin ich erschrocken die Brauen hebe. So ernst und furchteinflößend habe ich den sonst so quirligen Wassermagier noch nie gesehen. „Dem schließe ich mich an. Welche Motive sie auch immer gehabt haben mag, so ist das noch lange kein Grund seine Schwester derart zu behandeln", erklingt Salems Stimme, während er mir mit gehobenem Mundwinkel entgegen sieht. „Ganz recht! Sie soll es nur noch einmal wagen in deine Nähe zu kommen! Wir werden nicht zulassen, dass sie dir jemals wieder Schaden zufügt", meint Darko und hebt seine geballte Faust vor sich. Völlig überrumpelt von ihren Reaktionen klappt mir der Mund auf.
„Ihr..", hauche ich, bekomme jedoch keine weiteren Worte heraus.
„Wie Hera zuvor schon sagte, du zählst zur Familie und diese gilt es zu beschützen. Um jeden Preis", richtet Raven sein Wort an mich und nickt mir dabei vielsagend zu.
„Ich bin mir sicher, dass du auch General Kalens Unterstützung hast. Er wird ebenfalls nicht zulassen, dass dir jemals wieder jemand so entgegentritt", meint Ray, woraufhin ich verlegen zur Seite blicke.
„Und genau deshalb muss ich ihn unbedingt aus dem Kerker holen. Ich habe ihm so vieles zu verdanken", murmle ich und lasse niedergeschlagen die Schultern hängen. Das lassen die anderen natürlich nicht unkommentiert stehen und bohren immer tiefer nach.
Nachdem ich ihnen also über unsere gemeinsame Zeit und alles folgende berichte, sehe ich in gefasste und zuversichtliche Gesichter. Selbstverständlich habe ich einige private Dinge verschwiegen, da sie schlichtweg nicht von Nöten sind. Schließlich müssen sie auch nicht über alles Bescheid wissen, denke ich und unterdrücke ein verlegenes Grinsen.
„Ember, sei dir dessen sicher, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um unseren Truppführer wieder zu uns zu holen. Leider ist es momentan so, wie General Sorin schon sagte..uns sind die Hände gebunden. Uns bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten und auf eine geeignete Gelegenheit zu warten", wirft Hera aufmunternd ein und sieht mir tröstend entgegen.
„So ist es. Bis dahin werden wir uns schon einen Plan ausgedacht haben. Wir haben schließlich General Sekurion auf unserer Seite. Er wird unter allen Umständen vermeiden, dass ihm irgendetwas zustößt", pflichtet Salem ihr beruhigend bei. Ich lasse meinen Blick in die Runde gleiten und seufze erneut.
„Der Meinung bin ich mittlerweile auch..", murmle ich und sehe betrübt zur Seite.
„Ist dem so? Dann solltest du dich bei General Sorin entschuldigen. Ich bin mir sicher, dass er dein Versöhnungsangebot annehmen wird und es dir danach besser gehen wird", entgegnet Salem und legt behutsam eine Hand auf meine Schulter. „Ja..das werde ich wohl tun müssen", meine ich und sehe schuldbewusst aus dem Fenster.
„Zieh nicht so ein Gesicht! Keine Sorge, du hast immer noch uns. Wir werden immer an deiner Seite stehen", wirft Dewi aufmunternd ein, ehe er sich erhebt und auf mich zustürmt. Er wirft sich mir um den Hals, wie sonst auch und drückt mich fest an sich.
„Der Kleine hat recht", pflichtet Jasper ihm bei und kommt ebenfalls auf mich zu.
„Du kannst dich immer auf uns verlassen", meint nun auch Darko und legt einen Arm um mich. „Ich will auch Teil der Gruppenumarmung sein!", jammert Hera und kniet sich neben mich, ehe auch sie ihre Arme um mich schlingt. Raven sowie Salem erheben sich ebenfalls und legen jeweils eine Hand auf meine rechte und linke Schulter.
„Du bist nicht länger allein, Ember", richtet Raven sein Wort an mich während Salem mir bestätigend zunickt.
Während ich von allen Seiten beinahe erdrückt werde ringe ich um Fassung. Ich unterdrücke meine Tränen und lächele in mich hinein.
Nun bin ich endlich angekommen.

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