- Kapitel 106 -

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Erschöpft lasse ich mich in die Federn fallen und schließe meine Augen dabei. Der Tag war genauso anstrengend, wie die vorangegangenen. Ich kann es einfach nicht fassen. Es ist nun schon fast einen Monat her, seit ich das Quartier des Trupps bezogen habe.
Die Tage vergehen wie im Flug und ich muss gestehen, dass ich mich noch nicht gänzlich an die neuen Gegebenheiten gewöhnt habe.
Ich fühle mich ausgelaugt und kraftlos. Das Training zehrt an meinen Nerven.
Ein lautes Seufzen entkommt mir. Und ich dachte, Meister Tariks Training wäre hart, doch das..das hier ist um Längen härter.
Salem hatte sich mir gemeinsam mit Hellion angenommen, da er genau wie ich ein Feuermagier ist. Das ich ihm in einigen Dingen nachstehen würde war mir von Anfang an klar, doch..dass er tatsächlich so viel stärker ist als ich, hatte ich mir nicht Mals in meinen kühnsten Träumen gedacht.
Ich wälze mich auf dem Doppelbett umher und gehe gedanklich die Ereignisse der letzten Wochen durch. Der Tagesablauf ist streng getaktet. Mein Tag beginnt in aller Herrgottsfrühe mit einem gemeinsamen Frühstück, ehe sich der Rest seinen Aufträgen widmet. Anschließend zerrt Salem mich bereits auf den Trainingsplatz, um mich auf das nächste Kräftelevel zu bringen. Er ist wirklich ein unfassbar starker Magier, doch an seine Lehrmethoden muss ich mich noch immer gewöhnen. All die Jahre über war Tarik der einzige, der mich unterrichtet hatte. Dementsprechend bin ich seinen Unterrichtsstil gewohnt.
Ich gebe dennoch mein Bestes!
Ich will erfolgreich sein. Ich will Alastair keine Schande bereiten also strenge ich mich jeden Tag noch ein wenig mehr an.
Ich durfte bereits an einigen kleineren Aufträgen teilnehmen. Um ehrlich zu sein stellten sie keine große Herausforderung dar, doch ich verstehe, weshalb sie mich zunächst langsam an die Aufgaben eines Mitglieds des schwarzen Rings heranführen wollen.
„Man muss erst einmal das Krabbeln lernen, bevor man sich ans Laufen wagen kann", waren Jaspers Worte, die er während einer Partie Zauberquartett an mich richtete. Ich puste die angestaute Luft heraus und breite meine Arme aus. Mit leerem Blick starre ich an die Decke und verfolge das Funkeln der Sternenimitationen.
Ob Kairyan und Arryn auch nur kleine Fortschritte machen?
Seit den letzten Briefen habe ich nichts weiter von ihnen gehört. Wahrscheinlich sind sie ebenso beschäftigt, wie ich. Unruhig setze ich mich mit einem Ruck auf. Dabei fallen mir meine Haare über die Schultern, weshalb ich gedankenlos auf meine Spitzen hinabsehe.
Sind meine Haare tatsächlich wieder so sehr gewachsen? Vielleicht sollte ich Hera darum bitten, sie mir zu schneiden. Sie wären mir nur im Weg. Ich streiche mir durch die Strähnen und habe augenblicklich Szenen von Alastair vor meinen Augen. Bilder, wie er mir durchs Haar streift und mich anlächelt. Ich kneife die Augen zusammen und schüttle meinen Kopf. Auch wenn General Sorin sowie auch Levion sich um eine Lösung bemühen, so kam es in den letzten Wochen zu keinen neuen Ergebnissen. Alastair schmort weiterhin unschuldig in der Kerkerzelle, was mich innerlich zerfrisst.
Entschlossen balle ich meine Hand zur Faust und starre an die Wand vor mir. Ich werde ihn da raus holen! Ich weiß noch nicht wie, doch ich werde mir etwas einfallen lassen. Ich muss nur stärker werden, mir die Gunst der Königsfamilie verdienen und mir einen unschlagbaren Plan ausdenken, wie ich Alastair aus dem Kerker holen kann. Egal wie lange ich mir den Kopf darüber zerbreche, es führt kein anderer Weg daran vorbei. Schließlich hat die Königsfamilie alles in der Hand. Sie steuert und regelt alles, was sich im Königreich abspielt. Ich muss nur auf eine günstige Gelegenheit warten.

Frustriert schüttle ich den Kopf und fasse mir an die Stirn.
„Ich wünschte ich könnte mehr tun..", murmle ich uns fahre mir übers Gesicht. Mein Blick trifft das große flügeltürartige Fenster neben mir. Ein wenig frische Luft wird mir sicherlich gut tun, denke ich mir und hieve meine schweren Glieder von der Matratze. Ich umfasse den Fenstergriff und drehe ihn um neunzig Grad, um es zu öffnen. Die kühle Herbstluft strömt mir entgegen und beruhigt meinen Geist. Ich atme mehrfach tief ein und aus. Was er wohl gerade macht? Ob er an mich denkt? Ob er die Hoffnung bereits aufgegeben hat?
Nein, jeder..doch nicht er.
„Ich werde dich da raus holen", hauche ich gegen den Wind und lehne mich auf den Fenstersims.

Nachdenklich starre ich in die Dunkelheit und treffe erneut auf das gelbe Augenpaar, welches ich bereits seit Wochen, Nacht für Nacht, erblicke. Anfangs habe ich mir Gedanken darum gemacht, doch seit einiger Zeit empfinde ich dieses dunkle, gelbe Leuchten als sehr beruhigend. Es zeigt mir, dass es noch so vieles gibt, dass ich nicht weiß. So vieles, was unbekannt ist. Es gibt mir in gewisser Art und Weise Hoffnung. Möglichweise gibt es einen Weg Alastair zu befreien, doch ich habe ihn nur noch nicht entschlüsselt. Daran möchte ich zumindest glauben.
Ein erdrücktes Seufzen entkommt mir erneut. Leider haben sich einige Truppmitglieder gegen Alastair ausgesprochen. Ich habe aufgehört zu zählen, doch es müssen an die Hundert Magier sein, die seinen Trupp in den letzten Wochen verlassen haben. In jeder hierarchischen Ebene haben begabte Magier sich dazu entschieden, den Trupp zu wechseln. Verständnislos schüttle ich den Kopf.
Wie können sie nur an ihm zweifeln? Er war ihr Anführer, ihr Anker, ihr Held..wie können sie ihn nur so leichtfertig abschreiben? So sehr ich mich bemühe, kann ich es einfach nicht verstehen. Sogar Mitglieder der Elite haben sich von ihm abgewandt. Abgesehen von Selen haben sich auch drei weitere für einen anderen Trupp entschieden. So kam es, dass zwei Zimmer nun leer stehen und Hera sowie Jasper sich nun über ein Einzelzimmer erfreuen.
„Spirit freut sich sehr über den Freiraum", waren ihre Worte, weshalb ich mich dazu entschieden habe, weiterhin in Alastairs Zimmer zu wohnen. Hera hatte mir zwar angeboten zu ihr zu ziehen, doch ich empfand es als falsch. Mein Platz ist hier, an Alastairs Seite ganz gleich wo er sich befindet.
Das Ticken der großen Wanduhr reißt mich aus den Gedanken und lässt mich genervt Seufzen. Ist es wirklich schon so spät? Ich habe jegliches Gefühl für Zeit verloren. Auch wenn ich erschöpft bin, bekomme ich einfach kein Auge zu. Ich schiele zum Schreibtisch herüber und beiße mir auf die Unterlippe. Es wird an der Zeit mich bei Tarik zu melden. Er wartet sicherlich bereits auf ein Lebenszeichen von mir.
„Vielleicht sollte ich ihm schreiben", murmle ich und schlendere auf den Holzstuhl zu. Mit einem Ruck ziehe ich ihn hervor und lasse mich auf das Leder sinken. Wenn ich ohnehin nichts produktiveres tun kann, sollte ich ihm von meinen Erlebnissen berichten. Außerdem steht nach wie vor die Frage im Raum, was es mit meiner Familie auf sich hat. Bei all den Geschehnissen der vergangenen Wochen habe ich diese Sache völlig aus den Augen verloren. Möglicherweise hat er auch einen guten Ratschlag für mich. Ich kann nicht abstreiten, dass ich mich in einer Sackgasse befinde.
Ob er sich irgendwann in seinem Leben auch so gefühlt hat?
So hilflos? So kraftlos?

Blind FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt