- Kapitel 104 -

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Das dunkle Gemäuer, welches sich vor mir erstreckt, ist zur Hälfte von Efeu übersehen. Vor den Toren prangt ein alter steinerner Springbrunnen. Ringsherum sind vereinzelt Statuen aufgestellt. Der Kiesweg zum Tor ist von Gras und Erde umringt und der altbekannte Duft eines Weihers liegt in der Luft. Mit großen Augen sehe ich mich sorgfältig um, während die anderen bereits einige Schritte voraus sind.
Dewi und Raven diskutieren lautstark über Belanglosigkeiten, Hera versucht die beiden davon abzuhalten sich die Köpfe einzuschlagen während Ray mit Jasper heimliche Wetten eingeht, wer wohl am Ende ein blaues Auge davon trägt.
Salem hingegen schreitet still schweigend vorne weg. Er hat seit der Begrüßung kein weiteres Wort mehr gesagt und wirkt konzentriert. Nachdenklich runzle ich die Stirn und folge meinen neuen Kameraden, ehe ich plötzlich abrupt stehen bleibe. Ich vernehme seltsame magische Schwingungen direkt vor mir. Die anderen scheinen mein Stoppen nicht bemerkt zu haben und laufen unbeirrt weiter. Lediglich Salem dreht seinen Oberkörper dezent nach hinten und ich meine ein seichtes Grinsen zu erkennen. Gerade als ich meine Skepsis in Worte fassen will, erhebt der rothaarige Magier das Wort.
„Du bist sehr aufmerksam", ruft er mir zu, woraufhin auch der Rest sich allmählich umdreht. Wissend grinsend sind nun alle Blicke auf mich gerichtet.
„Was geht hier vor?", hake ich alarmiert nach. „Nun..wir alle hier haben dich bereits als neues Truppmitglied anerkannt. Doch ein Trupp ist bei weitem nicht alles, was wir sind. Wir sind eine Familie. Man muss sich nicht immer lieb haben, man kann auch gern anderer Meinung sein, unterschiedliche Interessen haben, doch das wichtigste ist, dass man einander vertrauen kann. Man aufeinander zählen kann und man harmoniert wenn es drauf ankommt. Dazu zählen nicht nur wir..", beginnt Salem zu erklären, während ich eine immer näher kommende magische Präsenz hinter mir wahrnehme. Sie ist überwältigend stark und schüchtert mich zugegebenermaßen ein wenig ein. Langsam und vorsichtig lasse ich Agira in die Luft gleiten und hinter mich blicken.
Mein Herzschlag verdoppelt seine Geschwindigkeit, als ich endlich zuordnen kann, was sich meinen Augen bietet. Mein Mund öffnet sich einen Spalt weit während Salem fortfährt.
„Darf ich vorstellen, Hellion. Mein geschätzter Freund und Begleiter", meint er mit ausladender Handbewegung. Zaghaft drehe ich mich um und weiche dabei ein wenig zurück, während Hellion langsam auf mich zu stolziert.
Von Wesen wie diesem habe ich bisher nur in Büchern gelesen. Tarik erklärte mir, wie unfassbar selten Feuerlöwen sind. Niemand weiß genau, wo sie ihren tatsächlichen Ursprung haben, doch Legenden besagen, dass sie einst von einem mächtigen Feuermagier geschaffen wurden, der die Kunst der Ewigflammen meisterte.
Nie in meinem Leben hatte ich gedacht einmal solch einem majestätischen Tier gegenüberzustehen. Der magische Fluss des Tiers ist ein wahres Flammenmeer, so dicht und konzentriert, dass es schmerzt in die Mitte des Kerns zu blicken.
„Unsere Haustiere dienen nicht nur zur Unterhaltung oder zum Vertreiben der Einsamkeit hier. Sie sind ebenso ein Teil unserer Familie und sie beschützen diejenigen, die sie als Teil davon anerkennen. Um also hier im Quartier bleiben zu können musst du auch sie von dir überzeugen", erklingen Salems Worte hinter mir, während ich mich mittlerweile mit dem Rücken an die magische Barriere drücke.
„Da du selbst kein Tier besitzt musst du umso überzeugender sein. Deshalb wäre es sehr praktisch gewesen wenn du bereits eines gehabt hättest", meldet sich nun auch Dewi zu Wort. Die anderen rufen mir ebenfalls etwas zu, doch ich kann mich nicht auf ihre Worte konzentrieren. Zu gebannt bin ich von der stolzen Kreatur, die nun direkt vor mir steht und zu mir hinabsieht.
Mehrere Augenblicke vergehen in denen wir in diesen Positionen verharren. Die Schwingungen der Barriere kommen mir seltsam vertraut vor. Die Energie, die von ihr ausgeht, scheint der meinen zu ähneln. Sie hat den selben Ursprung wie meine Magie, nämlich das Feuer. Irritiert runzle ich die Stirn. Ich weise Agira an mir Salem genauer zu zeigen.
Hält er diese Barriere aufrecht?
Ich habe ihn keinen Zauber anwenden sehen, noch kann ich erkennen, dass er dies jetzt im Moment täte.
Plötzlich trifft es mich wie einer von Elianas Blitzen. Der Feuerlöwe. Er ist es, der diese Barriere formt. Er beschützt das Quartier, sodass außer den Mitgliedern des Trupps niemand anderes hineingelangt. Das meinte Salem also damit, als er sagte, ich müsse Hellion von mir überzeugen.
Doch wie um alles in der Welt überzeugt man Feuerlöwen von sich?
Mit Unterwerfung? Mit Dominanz?
Alles was ich über diese Wesen weiß ist, dass sie sehr stolze Tiere sind. Sie sind nie ohne ihr Rudel anzutreffen und kämpfen bis zum Tod um dieses zu schützen. Einen Kampf mit dieser Kreatur würde ich garantiert nicht überleben. Seine Angriffe überschreiten die Magiestufen 12 und 13 bei weitem, was bedeutet ich habe bei einem Kampf absolut nichts entgegenzusetzen.
Dominanz streiche ich also besser von meiner Liste an Optionen. Doch habe ich mit Unterwerfung tatsächlich bessere Chancen?
Schwäche vor solch einem Wesen zu zeigen könnte genauso böse enden.
Während ich mir den Kopf zerbreche steht der Feuerlöwe weiterhin regungslos direkt vor mir. Seine schwarzen Augen sind von lodernden Flammen erfüllt. Es fühlt sich beinahe so an, als würde er mir direkt in die Seele blicken wollen. Als würde er ebenso über seine nächsten Schritte nachdenken, wie ich.
Ein Gedanke schleicht sich in meinen Kopf.
Eine Katze..ist elegant und graziös genau wie Ray. Ein Adler ist frei und selbstbestimmt, was auch eine passende Beschreibung für Hera darstellt.
Ein Hund ist verspielt und loyal genauso wie Dewi. „Das ist es..ihre Tiere spiegeln ihre Eigenschaften wieder, was bedeutet..", murmle ich mit geweiteten Augen.
Schon von Anfang an habe ich etwas majestätisches und erhabenes an Salem gesehen. Es war unverkennbar, dass er der Anführer dieses Trupps ist. Ich muss Hellion also genauso begegnen, wie Salem. Ich kann mich erinnern, wie fasziniert er von meiner magischen Kraft war, als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe.
Ich nehme einen tiefen Atemzug und blicke entschlossen zu Hellion auf. Respektvoll verneige ich mich vor ihm, was ihn dazu bringt sich langsam zu setzen. Seine Augen sind nach wie vor auf mich gerichtet, während auch er seinen Kopf ein wenig neigt. Ich nehme einen weiteren Atemzug und richte mich erneut auf. Meine Arme breite ich langsam zur Seite aus und hebe den Kopf. Ich bündle meine Magie und lasse sie kontrolliert über meine Haut wandern. Die Flammen bahnen sich ihren Weg über meine Arme, meine Beine, meinen Hals bis über meinen Bauch. Sie umgeben mich nun wie eine Hülle, woraufhin ich meinen Blick wieder senke. Standhaft blicke ich ihm in die Augen und intensiviere meine Flammen. Sie lodern immer heller, umgeben mich immer dichter. Hellion beobachtet mich dabei genau und scheint auch seine Flammende Mähne zu intensivieren. Ich schiebe meine Brauen zusammen und verstärke meine Flammen noch weiter, genau wie er. Immer dichter, immer heller, immer schneller fließen die Flammen. So schnell, dass es aussieht, als wären wir beide in Licht getaucht, als würden wir von innen erstrahlen.

Hellion erhöht die Intensität immer weiter, während ich nicht mehr lange mit ihm mithalten kann. Meine magische Kraft ist beinahe aufgebraucht. Ein Kräftemessen mit einem Wesen wie ihm kann ich nicht gewinnen, doch ich muss es schaffen ihn wenigstens so weit zu beindrucken mich die Barriere passieren zu lassen.
Sein Blick bohrt sich in meinen.
Wir beide schenken uns nichts und obwohl ich bereits merke, wie meine Flammen immer langsamer fließen weiche ich nicht zurück.
„Ich bin nicht soweit gekommen um jetzt zu scheitern", zische ich und mobilisiere all meine Kraftreserven, die ich noch habe.
„Hörst du? Ich bin Mitglied dieses Trupps! Ich habe mir diesen Platz hart erkämpft", fahre ich mit zusammengebissenen Zähnen fort, woraufhin der Feuerlöwe seinen Kopf beängstigend nah zu mir herab neigt. Seine Schnauze ist nun nur wenige Zentimeter von meiner Nase entfernt, doch ich denke nicht daran zurückzuweichen. All die harte Arbeit, all das Training, all die Strapazen wären umsonst gewesen wenn ich ihn nicht dazu bringe den Weg für mich freizugeben. Szenen der Vergangenheit ziehen vor meinem geistigen Auge vorbei. Ich wünschte er könnte sehen, wie hart ich für das alles hier gearbeitet habe, was ich alles durchgestanden habe um letztlich hier zu stehen. Plötzlich schließt er die kleine Lücke zwischen uns und drückt seine große Stirn gegen meine. Ein gleißendes Licht erstrahlt und ich spüre, wie seine Energie auf meinen Geist übergeht.
Dieses Gefühl ist überwältigend. So viel Kraft habe ich das letzte Mal während der dritten Etappe gespürt. Diese endlosen Flammen, dieses nie erlöschende Feuer..dieses Gefühl ist wahrlich magisch.
„Dein Weg war nicht einfach. Er war steinig, schwer und voller Hindernisse. Du trägst sehr viel Kummer und Bedauern tief in deiner Seele. Dein Wille jedoch ist ungebrochen, deine Kraft beeindruckend. Dein Mut, dich mit mir zu messen, soll belohnt werden", erklingt eine tiefe dröhnende Stimme in meinem Kopf. Überrascht reiße ich die Augen auf, rühre mich allerdings nicht.
Der Feuerlöwe, Hellion, spricht zu mir?
In keinen Aufzeichnungen steht geschrieben, dass diese Wesen so etwas können.
„Ich akzeptiere dich, Ember Akela. Du bist mir respektvoll entgegengetreten, weshalb du Gleiches von mir erwarten kannst. Sei gewarnt, Ember..dein Weg wird sich schon bald gabeln und du wirst dich an einer Lichtung stehend wiederfinden.
Welchen Weg wirst du wählen?
Welchem Weg wirst du den Rücken zukehren?
Die Entscheidung liegt ganz bei dir", mit diesen Worten erlischt das grelle Licht und lässt mich verwirrt zurück.
Sprachlos sehe ich dabei zu, wie Hellion sich erhaben zurücklehnt und sich erhebt. Als er mir den Rücken zukehrt und der magische Fluss, der von ihm ausgeht immer schwächer wird, werden auch die Schwingungen der Barriere hinter mir immer schwächer, bis sie nicht länger zu vernehmen sind.

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