- Kapitel 123 -

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Der Berg an erledigten Aufträgen stapelt sich immer höher. Ember hat aufgehört zu zählen. Mittlerweile müssten es weit über fünfzig Male gewesen sein, dass sie mit den anderen ausgerückt ist. Die meisten Aufträge spielten sich nahe der Grenze zum Königreich Trios ab. Diese Gegend kennt sie nun schon fast besser, als ihr neues zu Hause.
Sie erinnert sich an ihren ersten richtigen Auftrag, den sie gemeinsam mit Salem und Ray erledigte. Als sie sah, wie konzentriert und entschlossen die beiden gewesen sind hat sie das zutiefst beeindruckt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie weder Salem noch Ray ernsthaft kämpfen sehen.
Was sie ihr boten war atemberaubend.
Sie weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Doch auch sie ließ sich nicht abhängen. Dank ihres strategischen Geschicks und ihres harten Trainings konnte auch sie mit Erfolg glänzen. Seither schickte Salem sie immer öfters los. Sie sollte so viel Erfahrung sammeln, wie möglich, waren seine Worte.
„Ich weiß, dass du mit allem klar kommen wirst, was dich erwartet", fügte er damals zuversichtlich grinsend hinzu, was sie die Augen weiten ließ. Das er ihr so viel zumutet und ihr das Leben der Anderen anvertraut bedeutet ihr viel. Mittlerweile hatte sie die Möglichkeit jedes ihrer Truppmitglieder kämpfen zu sehen. Es ergaben sich sogar recht effektive Zusammenschlüsse. Eine weit verbreitete Taktik unter den Magiern des schwarzen Rings. Viele bündeln ihre Kräfte und arbeiten gemeinsame Angriffe aus, um den Schadensfaktor zu erhöhen. Anders, als bei anderen Magiern, entstanden diese Bündnisse und Teamangriffe allerdings nicht geplant oder einstudiert. Alles passierte eher im Affekt, was es umso unglaublicher macht, dass es tatsächlich jedes Mal so gut funktionierte. Dewi meinte, dass es etwas mit der Bindung innerhalb des Trupps zu tun hätte.
„Wir sind eine Familie. Wir kennen uns alle sehr gut..kennen die Stärken und Schwächen der anderen und können sie intuitiv ausgleichen", erklärte er und hob dabei besserwisserisch den Finger in die Höhe. Auch Hera, die ihm einen Schlag auf den Hinterkopf verpasste musste ihm beipflichten, da sie selbst keine bessere Erklärung dafür hatte.

Auch dieses Mal gelang es ihnen ihren Auftrag erfolgreich durchzuführen und einige Dorfbewohner nahe der Grenze vor Magiern der Garde des Königreichs Trios zu beschützen. Ember ballt eine Hand zur Faust. Das Leder ihrer schwarzen Handschuhe quietscht dabei bereits ein wenig, ehe sie ihre Faust wieder sinken lässt. Diese Gardemagier..nutzen den Umstand der Abgeschiedenheit der Dörfer schamlos aus. Sie fühlen sich sicher und gehen davon aus, dass der schwarze Ring seine Magier schließlich nicht über das gesamte Reich ausbreiten kann. Ein Großteil wird von der Königsfamilie in Anspruch genommen. Der Rest hingegen kümmert sich um die Belange der Bürger der Hauptstadt. Nur wenige Trupps nehmen Aufträge an, die soweit von der Hauptstadt entfernt sind. Eine Schande, wenn man recht darüber nachdenkt. Salem erklärte einst, dass die Aufträge nicht genügend Entlohnung und Anerkennung abwerfen. Das soll der Grund dafür sein, dass die meisten Truppführer sie ablehnen. Unfassbar, dass sogar innerhalb des schwarzen Rings solch eine Ungleichheit herrscht. Das hatte Ember sich alles ganz anders vorgestellt. Doch sie ist erleichtert darüber, dass Alastairs Trupp sich auch diesen Belangen annimmt und die Bürger des Königreichs nicht im Stich lässt, nur weil sie abseits der Hauptstadt leben.

Der Winter schleicht sich zaghaft ins Land und auch das neue Jahr rückt immer näher. Die Roben werden schwerer und dicker, was ein eindeutiges Zeichen für Ember ist. Früher, noch lange bevor sie Agira an ihrer Seite hatte, war das immer das erste Indiz dafür, dass es bald schon schneien würde. Ihre Eltern waren stets besorgt darüber, dass sie sich erkälten könnte und so packten sie sie in unzählige Schichten ein, ehe sie das Anwesen verließen. Der Gedanke an ihre Eltern schwirrt ihr durch den Kopf, während sie den anderen durch einige Torbögen folgt. Sie haben sich am heutigen Tag frei genommen und streunen gemeinsam durch die Straßen der Hauptstadt, da einige Festlichkeiten anlässlich des bevorstehenden Jahreswechsels abgehalten werden. Sie hatte seither nichts von ihnen gehört. Auch sie hatte sich nicht gemeldet. Tarik war der Einzige, dem sie einen Brief schrieb. Sie wartet noch immer auf seine Antwort. Seufzend nimmt sie den von Zucker ummantelten Apfel entgegen, den Hera ihr vors Gesicht hält.
Auch Kairyan und Arryn hat sie noch nicht auf ihre Briefe geantwortet. Es war schlichtweg einfach keine Zeit dafür.
Was sie wohl tun würde, sollte sich ihr Verdacht bewahrheiten?
Salem hatte damals bereits etwas logisches angedeutet, doch sie schob es einfach weit von sich.
Doch was, wenn Salem recht behält?
Was wenn sie wirklich nicht die leibliche Tochter ihrer Eltern wäre? Es ergäbe durchaus Sinn. Schließlich ist sie die Einzige in der Familie, die die Affinität zu Feuer geerbt hatte. Auch in der Blutlinie ihrer Tanten, Onkel und Cousinen gibt es keinen einzigen Feuermagier. So betrachtet, sieht sie Eliana auch kein bisschen ähnlich. Damals, als sie noch völlig blind durch die Welt lief ist ihr das natürlich nicht aufgefallen, doch als sie ihre Schwester zum ersten Mal sah wurde es ihr bewusst.
Sie sah völlig anders aus als sie.
Auch als die Jahre verflogen entwickelten sie sich völlig unterschiedlich weiter. Sie konnte es also auch nicht länger auf die kindliche Erscheinung und Pubertät schieben. Ihr ist klar, dass kein anderer Weg daran vorbei führt. Sie muss mit ihren Eltern sprechen, sollte Tarik keine Antwort auf ihre Frage haben. Anderseits..wollte sie das überhaupt? Was brachte ihr das schon? Ihr gefiel das Leben genauso, wie sie es momentan führte. Noch nie zuvor hatte sie sich so frei gefühlt. Die Tage mit den anderen verfliegen im Eiltempo und auch ihre Trainingsfortschritte sind nicht zu übersehen. Alles in allem wäre es reichlich dämlich sich selbst Probleme aufzuhalsen indem sie sich mit solchen unwichtigen Dingen beschäftigt, oder nicht?
Diese Frage schwirrt ihr noch einige Zeit im Kopf umher, bis schließlich kurz nach Neujahr ein Brief im Truppquartier eintrifft.

Blind FireWhere stories live. Discover now