- Kapitel 67 -

2.6K 238 16
                                    

„Du musst wissen, lange bevor er Teil des schwarzen Rings wurde lebte er ein, von außen betrachtet, traumhaftes Leben.
Als erstgeborener Sohn der Familie Kalen genoss er großes Ansehen. Er hatte viele Freiheiten und bekam immer alles, was er sich wünschte.
Doch der Scheint trügt, wie man so schön sagt. Mit der Freiheit kam auch die Verantwortung. Mit dem Reichtum auch die Pflicht. Er lebte ein Leben im goldenen Käfig. All die Verantwortung und die Pflichten der Familie lasteten auf ihm. Sein Leben war bereits in Stein gemeißelt. Seine Eltern sahen sich sogar schon nach einer Braut um, die es würdig wäre, den Namen Kalen zu tragen.
Du kannst dir sicher vorstellen, wie das ist, nicht wahr?", richtet er die Frage an mich und reißt mich abrupt zurück in die Realität.
Ob ich weiß wie das ist? Ja, traurigerweise weiß ich, wie es ist ein Leben im goldenen Käfig zu führen. „Während er zur Pflicht gezwungen wurde sah er seinem kleineren Bruder dabei zu, wie er völlig frei seine Flügel ausbreiten konnte, in dem Wissen, dass sein größerer Bruder das alles schon machen würde. Er müsste nichts weiter tun, als Skandale zu vermeiden und pünktlich bei wichtigen Unterredungen des Königshauses sein.
Alastair sah nur einen Ausweg.
Den schwarzen Ring.
Wenn er sein Leben und seine Dienste dem Königshaus verschreiben würde, wäre er von jeglichen familiären Pflichten befreit. Deshalb kämpfte er auch so verbissen und setzte sogar noch einen drauf, als er das zweite Mal antrat. Er hatte es geschafft, er konnte den Weg seines Schicksals drehen, so dachte er zumindest.
Sein Bruder, Samuel, wurde als Zweitgeborener selbstverständlich an Alastairs Stelle zum Familienoberhaupt ernannt. Das bedeutete allerdings auch, dass er sich nun mit den Pflichten und Zwängen arrangieren musste. Er fasste den Entschluss ebenfalls Teil des schwarzen Rings zu werden, um genau wie Alastair diesem Schicksal zu entfliehen.
Du kannst dir vorstellen, wie überrascht Alastair war, als er seinen kleinen Bruder am Tag der ersten Etappe auf dem Duellareal hatte stehen sehen. Ich kann mich noch genau an seinen Gesichtsausdruck erinnern. Anders als ich erwartet hatte zögerte er keine Sekunde sein Bindungspartner zu werden. Als ich ihn schließlich darauf ansprach sagt er lediglich, dass er genau wüsste wie Samuel sich fühlte und er alles dafür tun würde, um auch ihm zu einem ungezwungenerem Leben zu verhelfen", erklärt Levion und setzt sich derweil auf Alastairs Bett. Ich hingegen verschränke meine Arme vor der Brust und kaue auf meiner Unterlippe.
„Das ist wirklich schön..ich meine, das Geschwister so zusammenhalten", murmle ich niedergeschlagen und denke dabei an mein verkorkstes Verhältnis zu Eliana.
„Nun, ja das hört sich wahrlich so an, nicht wahr? Doch leider ist es nicht immer so, wie es scheint", seufzt Levion und fährt sich durch die Haare.
„Was meisnt du damit?", hake ich nach und setze mich ebenfalls auf's Bett.
„Als die Kalens hörten, dass Alastair Samuel unter seine Fittiche nahm war ihnen bewusst, dass sie nun auch Samuel an den schwarzen Ring verlieren würden. Somit hätten sie keinen Nachfolger der familiären Pflichten mehr gehabt. Das konnten sie nicht zulassen also setzten sie Alastair ein Ultimatum.
Entweder er würde als rechtmäßiges Familienoberhaupt zurückkehren oder Samuel", erläutert er mit humorlosem Lächeln auf den Lippen.
„Alastair wusste nicht was er tun sollte. Er wollte weder zurück zur Familie, noch wollte er Samuel die Chance verbauen. Die einzige Möglichkeit, die ihm übrig blieb, war genauso grausam, wie genial", haucht Levion die letzten Worte und fixiert einen Punkt an der Wand. Mir hingegen stockt der Atem, da ich mir nicht sicher bin, ob ich die folgenden Worte wirklich hören will.
„Er wusste, dass das Königshaus einen der Kalens unter allen Umständen behalten wollen würde. Das wusste auch seine Familie. Also schmiedete er einen Plan.
Am letzten Tag, während der dritten Etappe, provozierte er einen Unfall. Es sollte nichts bahnbrechendes sein, nichts schwerwiegendes. Es sollte Samuel lediglich ängstigen. Es sollte ihn dazu bewegen freiwillig zurück nach Hause zu kehren, doch es kam alles anders..Er hatte die Wucht des Angriffs des Erdmagiers unterschätzt. Es war bereits zu spät, als er es bemerkte. Er versuchte alles, um den Angriff abzuschwächen, doch vergebens. Der Gesteinsbrocken traf Samuel mit voller Wucht am Kopf. Die nächsten Sekunden verliefen für alle Beteiligten wie in Zeitlupe.
Seither hat Samuel sein Bewusstsein noch immer nicht wiedererlangt. Für die ganze Welt sah es nach einem einfachen Unfall aus. Niemand hatte Alastair auch nur für eine Sekunde verdächtigt.
Als ein paar Wochen ins Land strichen und er zunehmend keine Nacht mehr schlief hielt ich es für das Beste nach ihm zu sehen. Anfangs lehnte er meine Hilfe vehement ab.
Dieser Sturkopf.
Natürlich lehnte er mich ab, da er genau wusste, dass ich über den wahren Ablauf des Unfalls Bescheid wusste", entkommt es ihm lachend, doch sein Gesichtsausdruck verrät ihn.
„Woher wusstest du es?", frage ich ausdruckslos und warte gespannt auf die Antwort.
„Nun, ich bin Zeitmagier meine Liebe. Ich kann beliebig in die Vergangenheit sehen, sie schneller oder langsamer abspielen lassen, verschiedene Wege sehen, die sich ergeben hätten wenn auch nur eine Sache anders gelaufen wäre, man sich anders entschieden hätte", erklärt er sanft und lehnt sich an den Stahlbettpfosten hinter ihm.
„Deshalb habe ich ihn auch nicht verraten. Ich wusste, weshalb er tat was er tat", fügt er kopfschüttelnd hinzu.
„Du bist ein wahrer Freund, Levion. Alastair kann sich glücklich schätzen jemanden, wie dich an seiner Seite zu haben", entgegne ich anerkennend und wechsle meine Position in den Schneidersitz.
„Ich kann nicht leugnen, dass uns diese Situation erst wirklich zusammengeschweißt hat, doch ich wünschte es wäre anders gekommen.
Alastair leidet Tag für Tag. Sein schlechtes Gewissen zerfrisst ihn regelrecht, doch er erträgt es, will es sogar spüren. Er meinte, es sei die gerechte Strafe für sein Vergehen.
Seither war Alastair immer recht..unterkühlt. Er war immer sehr distanziert zu allem und jedem. Er stürzte sich regelrecht in die Arbeit. Natürlich brachte ihm das reichlich Erfolg und Anerkennung seitens Sekurion sowie auch des Königshauses, doch das alles nahm er überhaupt nicht mehr wahr. Er existierte einfach nur noch.
Er tauschte den goldenen Käfig gegen einen stählernen ein", seufzt er und senkt den Blick.
„Das ist..furchtbar..", hauche ich und schüttle den Kopf.
„Ja, es ist wahrhaftig eine Tragödie..doch seit du in sein Leben getreten bist hat er sich verändert. Er Lächelt öfter, ist zu scherzen aufgelegt und blüht richtig auf. Es ist, als würdest du ihm einen Sinn geben", spekuliert er, was mir die Röte ins Gesicht treibt.
„Einen Sinn? Mach dich nicht lächerlich Levion. Es ist durchaus wahr, dass er in mir vielleicht mehr sieht, als in anderen Teilnehmern..aber so hoch würde ich meinen Einfluss nun nicht schätzen", entgegne ich verlegen und reibe mir über den Oberarm.
„Es ist wirklich überaus amüsant, weißt du? Du hast in den letzten Tagen am meisten Zeit mit ihm verbracht und doch siehst du es nicht", entkommt es ihm grinsend, woraufhin ich die Brauen hebe.
„Was sehe ich nicht?", bohre ich nach, ernte allerdings lediglich ein Kopfschütteln seinerseits. „Ach das lasse ich dich selbst herausfinden. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Alastair es selbst bereits erkannt hat", kontert er lachend, während er sich erhebt.
„Nun, da du ein wenig mehr über Alastair weißt, stelle ich dir erneut die Frage..willst du weiterhin am Duell teilnehmen?
Nein, lass mich die Frage anders formulieren..
Willst du ihm weiterhin seinen Wunsch erfüllen?", richtet er sein Wort erneut an mich und steht nun direkt vor mir.
Abwartend sieht er prüfend auf mich herab. Natürlich ist es nicht richtig gewesen, was Alastair getan hatte. Selbstverständlich sollte meine persönliche Haltung ihm gegenüber nicht mein Urteilsvermögen trüben. Natürlich würde jeder normale Mensch nun seinen Abstand halten, ihn verachten, ihn ausstoßen, doch nicht ich. Ich weiß selbst, wie es ist als Sonderling leben zu müssen. Wie es ist, ständig unter Druck zu stehen. Wie es ist, mit Geschwistern unter einem Dach zu leben und zusehen zu müssen, wie sie sich entfalten können während man selbst verwelkt wie eine Blume in der Wüste. Sein Kummer und seine Verzweiflung rechtfertigen seine Tat nicht, doch ich kann sie nachvollziehen. Es ist logisch, dass er diesem Schicksal, dem er erfolgreich entfliehen konnte nicht ein zweites Mal gegenüberstehen wollte. Letztendlich sind wir doch alle gleich. Jeder hält seinen Kopf nur solange in der Schlinge, bis man das Seil bereits am Hals kratzen spürt.
„Es spielt für mich keine Rolle, was damals passiert ist. Es ist mir egal, was er getan hat. Er bereut seine Taten jeden Tag und kümmert sich um seinen Bruder. Er büßt für seine Schuld schon jahrelang. Wer bin ich, um über ihn zu urteilen? Er war für mich da, als es kein anderer war. Er hat an mich geglaubt, als kein anderer an mich glaubte. Er hat mir geholfen, als kein anderer mir half. Ich werde ihn sicherlich nicht enttäuschen. Ich will, dass er mit Stolz sagen kann, dass ich sein Schützling bin", entgegne ich entschlossen und erhebe mich ebenfalls.
Für einige Sekunden ist es still im Raum.
Wir starren uns lediglich stumm entgegen, bis ein zufriedenes Lächeln Levions Lippen ziert.
„Genau das ist es, was Alastair so magisch anzieht. Behalte diesen Funken in dir, Ember"

Blind FireWhere stories live. Discover now