- Kapitel 158 -

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Midan POV

Die Umgebung verschwimmt vor Elianas Augen. Midan rennt über die Felder und schlägt sich mit ihr auf dem Rücken durch die hohen Gräser. Er atmet schwer und hat seinen Griff fest um ihre Unterschenkel geschlungen. Die braune Leinenhose, welche er ihr noch vor wenigen Tagen übergeben hatte ist in Blut getränkt. Auch das weiße Oberteil ist von Flecken und Rissen übersäht. Selbst wenn es nicht Elianas Blut ist, so hat ihm ihr Anblick Angst eingejagt. Für einen kurzen Moment hat er tatsächlich die Sorge aufkeimen gespürt, sie sei schwer verletzt. Er weiß, dass sie stark ist, doch ihre Gegner waren immerhin die Konoda. Die Blondine hält sich mehr oder weniger bei Bewusstsein an ihm fest. Midan hat nicht gedacht, dass er Zeuge davon werden würde, wie sie ihre Grenzen erneut überschreitet. Schon das erste Mal, als er sie hat kämpfen sehen hinterließ sie nichts als Gänsehaut auf seinem Körper.
Ihre Bewegungen, ihre Angriffe, ihre Kraft..all das beeindruckte ihn zutiefst. Noch nie hatte er solch eine starke Magierin zu Gesicht bekommen. Seine Gedanken schweifen in die Vergangenheit. Damals in Adaron, als sie ihm über die Dächer hinterherjagte..wäre sie ihm da mit dieser Kraft entgegengetreten hätte er keine Chance gehabt.

Er kommt sich reichlich dämlich vor sie so maßlos unterschätzt zu haben. Er kann sich daran erinnern, als er sich lustig über sie machte und sie belächelte, als sie verloren auf dem Marktplatz stand. Er sieht es bildlich vor sich, wie der Sandsturm ihre Kapuze nach hinten fegte. Ihre blonden Wellen wehten umher und reflektieren das Licht. Ihre Augen funkelten wie zwei Edelsteine. Er gibt es nur ungern zu, doch in diesem Moment war er fasziniert von ihr. Fast schon hypnotisiert. Er konnte den Blick nicht von ihr nehmen. Genauso erging es ihm vor wenigen Tagen, als sie umgeben von leuchtend gelber Aura auf dem Boden aufkam und sich schützend vor den Panther und ihn stellte. Er kauerte auf dem Boden, versuchte die Raubkatze irgendwie vor dem Angriff Tosans zu schützen, doch..all seine Bemühungen waren kein Vergleich zu Elianas Kraft.
Er weicht einigen Wasserlöchern aus und achtet dabei darauf, den Griff nicht zu lockern.
Auch heute, als er das strahlend blaue Licht erblickte, welches sie umhüllte konnte er einfach nicht wegsehen. Das Geräusch der Blitze, das vertraute Knacken erklang in seinen Ohren. Auch wenn er nicht wusste, was vor sich ging, was sie tun würde, so wusste er, dass es jegliche Grenzen sprengen würde. Die Spannung, die von ihr ausging war beinahe nicht zu ertragen. Seine Muskeln zitterten und er hatte Schwierigkeiten sich auch nur aufzurichten.
Apathisch starrt er nach vorne, während er die Siedlung bereits am Horizont entdeckt.
Sie hat den Clan der Konoda beinahe im Alleingang ausgelöscht. Derselbe Clan, der den Kestrels seit Jahrhunderten Schwierigkeiten macht. Und dennoch hat sie sich so zurichten lassen.
Midans Blick gleitet zur Seite.
Er beobachtet die blonden Strähnen, die ihm über seine Schulter fallen. Auch auf ihnen sind Blutspritzer verteilt. Sie hat tatsächlich vorgehabt sich töten zu lassen nur um ihnen genügend Zeit zur Flucht zu verschaffen. Dabei ist sie so mächtig. Dabei war es ein Leichtes für sie duzende Gegner auf einmal auszuschalten. Er beißt die Zähne aufeinander.
Wie konnte sie nur solch ein Risiko eingehen? Wie wäre der Kampf ausgegangen, wenn er nicht zurückgekommen wäre?

„Midan!", reißt die Stimme seines Bruders ihn aus den Gedanken, weshalb er den Kopf schüttelt und den Blick hebt. „Hier drüben!", fügt Moran hinzu und winkt mit beiden Händen. Der Älteste steht mit hinter dem Rücken verschränkten Händen neben ihm am Rande der Siedlung. Er sieht nicht wütend aus, jedoch scheint er auch nicht erfreut zu sein.
Ob Moran schon dazu kam ihm alles zu berichten?
„Bring sie ins Hospital. Die Heiler sollen sich umgehend um sie kümmern", weist der Älteste den Blauhaarigen an, der wortlos nickt und davon stürmt.
„Halte durch, ja? Wir sind gleich da", presst er hervor und hastet die Stufen hinauf. Im Inneren angekommen sieht er sich eilig um, ehe bereits zwei Heiler auf ihn zu rennen.
„Bringe sie hier rüber", weisen sie ihn an, ehe er Elianas geschwächten Körper auf die Polster der Liege gleiten lässt. Besorgt streicht er ihr die Haare aus der Stirn und sieht erst jetzt das volle Ausmaß der Nacht.
„Wie geht es ihr? Hat sie schwere Verletzungen erlitten?", bombardiert er sie mit Fragen, während sie ihrer Arbeit nachgehen.
„Du musst uns schon erst einmal Zeit geben, um sie uns anzusehen", murrt Tenito, einer der beiden Heiler, ehe er nickend zurücktritt. „Verzeihung", murmelt Midan und hat den Blick dabei weiterhin auf Eliana gerichtet. Die Heilerin zu seiner Rechten verzieht traurig das Gesicht und setzt ein Lächeln auf.
„Was hältst du davon wenn du ihr Wechselkleidung besorgst? Sie wird sie brauchen sobald sie aufwacht", schlägt sie vor, doch Midan schüttelt den Kopf.
„Ich werde hier bleiben wenn es recht ist", entgegnet er mit zitternden Händen.
„Midan, sie ist nicht in Lebensgefahr. Sie ist lediglich erschöpft. Sie hat keine großen Wunden am Körper. Ihr Blutverlust ist ebenfalls nicht besorgniserregend soweit ich sehen kann. Sie wird eine Weile schlafen, doch es besteht kein Grund zur Sorge", beruhigt die Braunhaarige Heilerin ihn, ehe er seufzend die Augen schließt. „In Ordnung..Vielen Dank, Hinora", murmelt er an sie gewandt und trottet betrübt die Steinstufen hinab. Er hebt erschrocken die Brauen, als er den Ältesten vor ihm stehen sieht. „Folge mir für einen Moment", säuselt er, woraufhin Midan schwer schluckt. Sicher wird jetzt das Donnerwetter dafür folgen, dass er dieses Risiko eingegangen ist.
Sollte das meine Strafe sein werde ich sie akzeptieren. Es ist an der Zeit nicht länger davonzulaufen", hallen ihm Elianas Worte in Gedanken wieder. Seufzend senkt er den Blick. So wie sie Verantwortung für ihre Taten übernehmen will, so muss er dies nun auch tun.

Am Rande der Siedlung bleibt der Älteste Kurolis stehen und sieht dem Sonnenaufgang entgegen. Stumm stoppt auch Midan in seiner Bewegung und hat den Blick auf den sandigen Boden der Düne gerichtet.
„Bist du verletzt?", fragt er aus dem Nichts, woraufhin der Blauhaarige verwirrt die Brauen zusammenzieht.
„Nein", entgegnet er leise, woraufhin der Alte nickt.
„Seit deine Eltern gestorben sind hast du mir keinerlei Probleme gemacht, Midan. Du warst stets ehrgeizig und hast hingebungsvoll trainiert", beginnt Kurolis und fährt sich über den Bart. „Dennoch hast du nie auch nur einen Finger zu viel gerührt. Und nun marschierst du innerhalb einer Nacht ins Dorf der Konoda ein. Noch dazu mit deinem Bruder Moran an deiner Seite", fährt er fort, was ihm das Herz schwer werden lässt.
Es von dem Ältesten zu hören bereitet ihm Bauchschmerzen.
„Wieso hast du das getan? Sonst handelst du nicht so impulsiv", fragt der Bärtige und wendet sich dem Blauhaarigen zu. Midan hingegen verkrampft sich und starrt weiterhin zu Boden. „Es tut mir leid..ich hätte nicht so unbedacht handeln dürfen. Ich habe nicht nur Moran und mich einer großen Gefahr ausgesetzt..auch Eliana und unserem Clan habe ich ein großes Risiko aufgebürdet, obwohl ich es besser wusste", entkommt es ihm reuevoll, während er sich demütig verneigt. „Doch ich konnte sie einfach nicht davon abhalten in das Dorf der Konoda einzudringen. Ich habe ihr mit Nachdruck gesagt, dass es viel zu gefährlich sei, doch..sie wollte einfach nicht hören. Was hätte ich tun sollen? Sie wäre gestorben wenn..sie..ich weiß, dass sie überaus begabt ist, doch..", fährt er stammelnd fort und fasst sich an die Brust.
„Doch, was wenn ihre Kraft nicht ausgereicht hätte..nicht wahr?", beendet Kurolis mit erhobenem Mundwinkel seine Aussage. „Statt ihr die Hände zu binden hast du ihr also den Rücken gestärkt", fügt er hinzu, worauf Midan nichts erwidern kann. „Ich frage dich erneut..wieso hast du das getan?", beharrt der Älteste auf seiner Frage, während Midan ergeben seufzt.
„Ich..weiß es nicht", haucht er und fasst sich verwirrt an die Stirn.
„Mir scheint, als wüsstest du es. Du bist nur noch nicht bereit es dir einzugestehen", kontert Kurolis grinsend und dreht sich nun vollständig zu ihm. Verwirrt schiebt der dunkle Magier seine Brauen zusammen.
„Sag mir, sind dir Bilder ihres Todes vor Augen erschienen? Hast du sie leiden sehen?", setzt er ihm die Pistole auf die Brust, während Midan zur Seite schielt. „Ich werde dir nur dieses eine Mal auf die Sprünge helfen, Midan. Ich halte es normalerweise für sinnlos Lektionen vorzukauen, doch ich mache eine Ausnahme für dich, da du schon immer schwer von Begriff warst", fügt Kurolis lachend hinzu.
„Diese Bilder, die dir erschienen sind..du hast sie nicht ertragen können, nicht wahr? Allein der Gedanke daran, dass sie ihren letzten Atemzug tätigt ohne dich an ihrer Seite hat dich zerfressen. Plötzlich hast du diesen Drang verspürt. Den Drang sie zu beschützen. Du hast begriffen, dass du sie nicht von ihrem Vorhaben abhalten kannst also hast du sie stattdessen begleitet. Auch wenn du wusstest, wie gefährlich es werden würde..Du bist dieses Risiko eingegangen..für sie", erklärt der Bärtige, das Offensichtliche. „Weißt du wieso du dich so entschieden hast?", fragt er erneut, worauf Midan nach wie vor keine Antwort parat hat. „Weil du etwas gefunden hast, wofür es sich deiner Ansicht nach zu sterben lohnt. Auch wenn du es selbst noch nicht weißt..dieses Mädchen ist dir überaus teuer. So teuer, dass du dein eigenes Leben als Preis für das Ihre akzeptierst", erläutert er, was Midan die Augen aufreißen lässt.
„Ich habe nicht erwartet diesen Tag noch zu erleben wenn ich ehrlich sein soll. Als deine Eltern von uns gingen hast du dich zunehmend zurückgezogen. Dich nun so zu sehen..so voller Tatendrang..Es freut mich zu sehen, dass du jemanden gefunden hast, den du beschützen möchtest. Bevor du zum Protest übergehst..lass mich dir noch etwas sagen", fügt er leise hinzu. „Ich sehe keinen Fehler in deinen Entscheidungen. Wie könnte es auch jemals falsch sein jemanden beschützen zu wollen, der einem viel bedeutet? Dennoch..dieses Mal mag es gut ausgegangen sein. Ich hoffe du handelst in Zukunft bedachter. Nicht nur um deines Willen..auch ihr zuliebe. Oder willst du sie jedes Mal so derangiert vom Schlachtfeld tragen?", fragt er mit erhobener Braue, was Midan wütend zischen lässt. „Wenn sie dir wirklich so viel wert ist, dann fange an sie wirklich zu beschützen. Ich weiß du warst der Meinung, das würdest du bereits tun, doch..sie lediglich zu unterstützen reicht in ihrem Fall nicht aus. Dieses Mädchen hat einige Dämonen in sich, die ihr sehr zu schaffen machen. Schuld und Scham haben sie in Ketten gelegt. Sie weiß selbst noch nicht so recht, wo ihr Platz in dieser Welt ist. Ihre Vergangenheit liegt über ihr, wie eine dunkle Sturmwolke. Sie ist noch dabei sich zu finden. Momentan ist sie in den Kerkern der ewigen Dunkelheit eingesperrt. Ihr Blick richtet sich zwar der Sonne entgegen, doch die Ketten halten sie zurück. Trauer, Unzufriedenheit, Reue..all diese Dinge bilden die Gitterstäbe ihrer Zelle. Begegne ihr auf Augenhöhe. Öffne dich ihr. Zeige ihr, dass sie nicht die Einzige ist, die so fühlt. Erst dann wird sie verstehen, zum Licht zurückfinden und sich losreißen können. Doch du musst dir darüber im Klaren sein, dass dies keine leichte Aufgabe ist. Ihr Innerstes ist äußerst instabil, Midan. Ihr Licht in dieser grausamen Welt zu sein wird dir alles abverlangen. Ihr Schicksal ist wahrlich kein Leichtes..", murmelt Kurolis und streicht sich erneut über den Bart, während Midan die Hände zu Fäusten ballt und nach wie vor auf den Boden starrt.
„Wieso erzählt ihr mir das? Wenn es so gefährlich ist in ihrer Nähe zu sein, solltet ihr mir das dann nicht ausreden wollen?", presst er zwischen seinen Zähnen hervor, da es ihm mit jeder Faser seines Körpers wiederstrebt sie im Stich zu lassen.
„Das sollte ich wohl..", lacht der Alte und verschränkt die Hände erneut hinter seinem Rücken. „..doch mir war bereits bewusst, dass es sinnlos wäre dies zu versuchen. Ich habe deinen Blick gesehen, Midan. Als du mit ihr auf den Armen zurückgekehrt bist..deine Augen haben Bände gesprochen. Ich weiß, dass du dich bereits entschieden hast. Da wir wohl für eine lange Zeit nicht mehr die Chance dazu haben werden noch einmal so frei und offen darüber zu sprechen, möchte ich dir ein wenig unter die Arme greifen. Ich möchte, dass du weißt, was dich erwartet. Ich will, dass du nicht nur ihr Wegbegleiter bist. Denn das warst du bisher. Ich möchte, dass du ihr Schatten wirst, Midan. Wenn du ihr Gegenstück sein willst, musst du der Gewalt ihrer Blitze trotzen können. Je instabiler sie ist, umso stabiler musst du sein. Je verlorener sie ist, umso fester musst du auf dem Boden stehen. Je schwächer sie ist, umso stärker musst du sein. Wenn sie fällt musst du sie auffangen können. Sag..Schaffst du das?", entgegnet er und sieht ihm ernst entgegen, woraufhin Midan den Blick hebt.
„Ja, ich schaffe das", erwidert der dunkle Magier entschlossen und sieht Kurolis starr entgegen. „Selbst wenn sie deine Gefühle nicht erwidern wird? Wenn sie nicht mehr, als einen verlässlichen Kameraden in dir sieht? Wirst du dennoch in der Lage dazu sein ihr Schatten zu sein? Wirst du dein Leben dennoch als Preis für ihres akzeptieren?", stellt er ihm nun die alles entscheidende Frage, die Midan die Brauen verziehen lässt, während sein Herz sich für einen Moment schmerzhaft zusammenzieht.

Blind FireWhere stories live. Discover now