- Kapitel 190 -

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Stille breitet sich im Raum aus.
Lediglich die leisen Atemzüge der Überlebenden sowie der Trubel des Kampfes an der Front sind dumpf zu hören. Ich nehme einige tiefe Atemzüge und schließe meine Augen dabei, um meine Gedanken zu sortieren.
Die Ereignisse haben sich mehr als nur überschlagen.
Ich hatte kaum Zeit nachzudenken.
Die Realität prallt hart auf mich ein.
Er ist tot.
Der Kronprinz von Trios ist tot.
Ist es vorbei?
Zaghaft sehe ich mich um und schiebe dabei meine Brauen eng zusammen. Ich nutze meine Impulstechnik, und gehe strategisch meine Kameraden ab. Ray und Darkos Herzen schlagen noch. Auch Der Königsfamilie geht es allem Anschein nach gut. Der Schock sitzt tief, als sie kurz darauf das Blutbad begutachten.
Darum mache ich mir gerade keine Gedanken. Mein Verstand ist viel zu eingenommen. Der schwarze Schattenpanther, der wunderlicher weise Elianas Magiefluss in sich trägt sitzt vor Alastairs bewusstlosem Körper und wirkt seine Magie noch immer. Erleichtert sackt mein Oberkörper ein Stück weit nach vorn.
Er lebt, Alastair lebt.
Ich kann mir nicht helfen, als mir ein langer Seufzer entrinnt. Mein Blick gleitet weiter und bleibt an Salems rotem Schopf hängen. Das Blut hat mittlerweile begonnen an den Austrittswunden zu gerinnen und zu verkrusten. Einige Stellen seines Gesichts färben sich allmählich blau und Blutergüsse zeichnen sich an seinem Hals ab. So sehr ich mich auch anstrenge..ich kann keinen Puls hören..keinen Herzschlag sehen. Keine Impulswellen, die seinen Körper umgeben..keine innere Flamme, die bezeugen würde, dass er noch am Leben ist. Schockiert weite ich meine Augen und ziehe scharf die Luft ein. Die eben aufgekommene Erleichterung weicht bitterer Verzweiflung. „Nein..", hauche ich und zwinge meine Beine dazu aufzustehen. Ich bringe es nicht fertig, falle mit ausgestreckten Handflächen zu Boden und starre mit verschwommener Sicht auf Salem. Ich beiße die Zähne aufeinander und robbe den Rest des Weges zu ihm rüber. Ich kralle meine Hände in seine Uniform und kauere ratlos über ihm. „Salem..nein..", presse ich zwischen zwei Schluchzern heraus und streiche ihm mit zitternden Fingern über die Stirn.
Überfordert sehe ich mich weiter um. Irgendjemand muss mir helfen.
Irgendjemand muss doch bei Bewusstsein sein! Mein Blick trifft Eliana, die mir den Rücken zukehrend auf dem Boden liegt. Auch von ihr kann ich auf den ersten Blick keinen Herzschlag ausfindig machen. Ich strenge mich weiter an und denke schon, dass mein Verstand mir einen Streich spielt, als ich einen nahezu unmerklichen Puls erkennen kann. Der Blauhaarige Magier, der meine Schwester begleitet hat öffnet murrend die Augen und versucht sich zu orientieren. Ich kann seine schweren Schritte und stoßweise gehende Atmung hören.
Mein Körper fühlt sich taub an.
Dieser Anblick sollte nicht das Ergebnis des Weges sein, den ich gewählt habe. Salem..Eliana..sie beide..
„Eliana!", brüllt der Magier entsetzt und stürzt sich neben sie. Er dreht sie auf die andere Seite und zieht scharf die Luft ein.
„Was ist denn nur passiert?", entkommt es ihm verzweifelt, ehe er zu mir sieht. Sein Blick trifft auf Salem, woraufhin sich sein Mund schließt. Er scheint zu verstehen.
„Sie hat sich schützend vor mich geworfen. Der Kronprinz hat ihre Brust durchbohrt anstatt meiner", erkläre ich apathisch auf Salem starrend. Der Panther beendet seinen Zauber und trottet langsam und mit gesenktem Kopf auf meine Schwester zu. Er stupst sie mehrfach mit seiner Schnauze an, doch sie regt sich nicht. „Nein! Das kann nicht wahr sein! Sie darf nicht..ich habe ihr doch geschworen sie zu beschützen!", brüllt der Blauhaarige herzzerreißend während ihm Tränen in die Augen steigen.
Ich hingegen starre noch immer auf Salems Brustkorb.
Hoffe darauf, dass er sich doch noch heben würde. Vorsichtig lege ich meine Hand auf Höhe seines Herzens und kneife die Augen zusammen. „Salem..bitte..", hauche ich und spüre im nächsten Moment eine Hand auf meiner Schulter.
„Ember..", erklingt Alastairs Stimme, die mich meine Beherrschung verlieren lässt. Er kniet sich hinter mich und scheint die Situation ebenfalls zu begreifen. Tränen strömen meine Wangen entlang wie Sturzbäche. Ich wende mich hastig um und vergrabe mein Gesicht in seiner Brust. Schützend halte ich meine Hände vor mein Gesicht.
Ich will das nicht sehen müssen.
Ich will damit nicht klarkommen müssen.
Mir meine Schuld nicht eingestehen.
Ich war zu langsam.
Ich habe mich nicht schnell genug entschieden. Salem ist meinetwegen..
„Eliana komm schon..wach auf", ruft der Blauhaarige meiner Schwester entgegen. Auch Alastair wendet seinen Blick in seine Richtung und lässt den Kopf sinken. Er schlingt seine Arme fest um mich und streicht mir behutsam über den Kopf.
Wie kann er nur so gefasst sein?
Wie kann er sich nur so unter Kontrolle halten? Dabei ist sein Herz genauso schwer mir meines. Auch er empfindet Trauer. Der Rhythmus seines Herzschlags verrät ihn.
„Salem ist für uns gestorben. Er hat uns bis zuletzt beschützt", richtet er sein Wort an mich. „Erweisen wir ihm die letzte Ehre. Auch wenn es schwer ist..er hätte sich nicht gewünscht uns so zu sehen", fügt er hinzu, woraufhin ich mich noch fester in seinen Umhang kralle.
„Für Eliana ist es noch nicht vorbei", wirft er ein und sieht zu meiner Schwester. „Ihr Schattenpanther lebt noch. Er trägt einen Teil ihrer Magie in sich. Er kann ihre Wunden vielleicht heilen", erklärt er, woraufhin der blauhaarige Magier sich nickend übers Gesicht wischt.
„Gut..in Ordnung..was muss ich dafür tun? Wie funktioniert das?", stammelt er überfordert und starrt zwischen dem Panther und Eliana her. „Siehst du es denn nicht? Er wendet bereits Magie an", weist Alastair ihn darauf hin, ehe auch ich meinen Blick nach hinten wende.
„Er hat recht..ich kann einen schwachen Herzschlag sehen", schniefe ich und wische mir die Tränen aus den Augen. „Wenn Hellion hier wäre..", hauche ich und lasse den Kopf hängen. „Selbst Hellion könnte ihm nicht mehr helfen. Seine Wunden sind anders, als die deiner Schwester. Sein Herz hat schon aufgehört zu schlagen", schmettert er meine Hoffnungen nieder. Verzweifelt wende ich Salems totem Körper den Rücken zu und erhebe mich zaghaft. Ich trotte auf Eliana zu und knie mich neben sie. Ich umgreife ihre Hand. Die gleiche, mit der sie auch meine ergriffen hat.
„Eliana..ich danke dir. Ohne deine Hilfe hätten wir es nicht geschafft, doch es gibt noch eine Sache, die du tun musst", meine ich leise und sehe auf unsere Finger. „Du musst wieder aufwachen. Ich kann nicht zwei Mitglieder meiner Familie an einem Tag verlieren..das kann ich einfach nicht..", füge ich hinzu und drücke ihre Hand fester. Seufzend schließe ich die Augen und spüre, wie sich die Auswirkungen des Kampfes allmählich in meinem Körper ausbreiten. Schwach lasse ich mich nach hinten fallen und sitze bedröppelt auf dem Boden. „Ember!", erklingt Alastairs besorgte Stimme, ehe er mich bereits am Rücken stützt.
„Können wir denn gar nichts tun? Für Salem? Für Eliana?", entkommt es mir verzweifelt, als ich einen seichten Druck um meine Hand vernehme.
Ich reiße die Augen auf und starre ungläubig auf meine Schwester. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich wieder deutlich sichtbar.
„Du hast es geschafft!", ruft der Blauhaarige erleichtert und fällt dem stattlichen Tier um den Hals. Es fühlt sich an, als wäre mir ein Teil der Last von der Brust genommen worden, doch..betrübt sehe ich zu Salem, dessen Haare ihm wild in der Stirn liegen.
„Er ist doch ein Kämpfer..", wimmere ich und balle die Hand zur Faust.
„Er hat den Großteil des Rückstoßes abgefangen. Unser Angriff war stark. Zu stark, um uns nicht auch zu verletzen", erklärt Alastair und zieht mich enger an sich.
„Wieso?! Wieso hat er es dann getan? Wieso hat er das auf sich genommen?", schluchze ich und will erneut zu ihm robben.
„Weil er uns beschützen wollte", entgegnet Alastair betreten und lockert den Griff um mich. Ich lasse meinen Kopf kraftlos auf Salems Brust fallen.
„Ich sagte doch, dass wir alle zusammen bleiben! Wieso hast du dich allein geopfert? Salem! Ich hatte es im Gefühl! Ich habe es geahnt! Als ich jedoch wieder aufwachte und auch die anderen noch am Leben waren..da hatte ich die Hoffnung mich geirrt zu haben! Ich hatte wirklich gedacht..dass wir alle zusammen nach Hause gehen würden..", brülle ich dem Rotschopf entgegen, der nach wie vor die Augen geschlossen hat.
„Du hast mir den letzten Teil deiner Kraft gegeben, nicht wahr? Diese Präsenz um mich herum stammte von dir. Der Schild der mich schützte..warst du..", hauche ich und kneife die Augen noch fester zusammen. „Du hast gelogen Salem", füge ich bitter hinzu. „Du sagtest um wieder nach Hause gehen zu können..um die anderen auch Teil hiervon sein zu lassen..doch nun werden wir ohne dich heimkehren", werfe ich ihm vor, ehe ich ein trauriges Lächeln aufsetze.
„Wenn wir uns wiedersehen lasse ich ein Inferno an Flammen auf dich los, ist dir das klar? Ich werde noch viel mehr trainieren..noch viel härter trainieren. Ich werde so gut sein, dass ich dich übertrumpfe. Du wirst mir nicht entkommen können!", brülle ich und zwinge mich meine Mundwinkel oben zu behalten.
Alastair hat recht.
Salem würde nicht wollen, dass wir uns so verzweifelt vor ihn kauern.
„Ich hoffe du bereitest dich gut vor..dort oben im Himmel", ermahne ich ihn grinsend, ehe Alastair auf mich zukommt und mir aufhilft.
„Er muss sich nicht nur vor deinen Flammen in Acht nehmen", fügt Alastair mit zusammengeschobenen Brauen hinzu. „Die Predigt, die ich dir halten werde wird höllisch", fügt er hinzu, als auch er ihm ein seichtes Lächeln schenkt.
„Du warst stets ein fähiger Kamerad und einer meiner engsten Verbündeten. Es erfüllt mich mit Stolz und Ehre, dass du dein Leben für uns gegeben hast, Salem. Ich hoffe du siehst uns von der anderen Seite aus zu. So lange, bis wir uns eines Tages wiedersehen", verabschiedet er sich und legt Salem eine Hand auf die Schulter.

„So schwer unsere Herzen auch wiegen..wir müssen zurück an die Front. Die Gefahr im inneren des Palastes ist fürs Erste gebannt, doch die anderen kämpfen noch immer gegen die Garde. Nicht nur hier vor Ort..auch an den Grenzen geben Hera, Dewi, Raven und Jasper noch immer alles, um Levions Zauber aufrecht zu erhalten. Wir müssen sie unterstützen", richtet Alastair nun sein Wort an uns Verbliebene, woraufhin ich stumm nicke.
Richtig, all das wäre vergebene Mühe gewesen wenn wir die Garde nicht vollständig zurückdrängen. Ich lasse nicht zu, dass Salems Opfer und Elianas Einsatz umsonst gewesen sind..dass Ray und Darko so schwer verletzt wurden..dass Hellion zusammen mit Salem von uns ging.
„Wie ist dein Name?", wende ich mich an den Blauhaarigen, der noch immer neben Eliana kniet. Er sieht mir mit großen Augen entgegen. „Midan", entgegnet er wortkarg.
„Ich verstehe eure Verbindung zueinander nicht, doch da du an Elianas Seite gekämpft hast vertraue ich sie dir an. Wir haben im Zentrum eine provisorische Basis mit Wundversorgungsmöglichkeiten eingerichtet. Ich begleite dich dorthin, ehe ich mich Alastair anschließen werde", erkläre ich den Plan und sehe beide Magier stumm nicken.
„Die Königsfamilie ist hier im Palast nicht länger sicher. Wer weiß wie viele Gardemagier sich noch hier aufhalten. Wir werden sie ebenfalls mit uns nehmen", wirft der Schwarzhaarige ein und schnippt mit den Fingern, ehe die Königsfamilie sich in Dunkelheit auflöst.
„Lasst uns gehen", meint Alastair und schließt Ray, Darko sowie Salem in seine Barriere ein. Liebevoll werden ihre Körper von seiner Magie in die Luft gehoben und verblassen ebenfalls in den Schatten. Schwer atmend wischt Alastair sich über die Stirn und sieht uns bereits erwartungsvoll an, als Midan sich zu Wort meldet.
„Ihr müsst euch ausruhen, Sir Kalen. Ich weiß wo das Zentrum liegt. Ich bin mit Eliana bereits hindurchgelaufen. Lasst mich uns teleporten", meint er während ich Alastair von der Seite stütze.
„Ich danke dir", entgegne ich und umfasse Midans Hand, ehe wir auch schon aufbrechen.

Blind FireWhere stories live. Discover now