- Kapitel 142 -

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Eliana POV

Das Blut an meinen Händen tropft zaghaft auf den Boden, ehe es gerinnt. Ein leises Seufzen entkommt mir, woraufhin ich mir erschöpft an die Stirn fasse. Nicht zu glauben, es hat tatsächlich funktioniert, schießt es ihr durch den Kopf. Sie erinnert sich an all die Versuche, all die Nachmittage mit ihrem Vater, der sie die Kunst der Energiemagie lehrte.
„Die nächsthöhere Form der Blitzmagie ist das Erreichen der Blaufärbung. Die Blitze in diesem Stadium sind schneller, schärfer und um Längen heißer, als gewöhnlich", erklärte er ihr damals, was ihre Augen zum Strahlen brachte. Sie wollte diese Technik unbedingt erlernen. Sie dachte, so könnte sie Ember nur noch weiter vorauseilen. Aus heutiger Sicht kommt sie sich ganz schön lächerlich vor. Ember war ihr damals schon Lichtjahre voraus.
„Diese Technik ist allerdings nur schwer zu meistern, Eliana. Diese Kraft ist anders, als gewöhnliche Magie. Sie unterliegt nicht nur deinem sturen Willen. Die Macht muss dich akzeptieren, sie muss sich dir freiwillig öffnen. Es gibt keinen Zauberspruch, keine Bewegung, keinen Mechanismus, der sie dir einfach in die Hände fallen lässt. Du musst einen aufrichtigen Grund haben, um sie nutzen zu können. Der edelste Grund hierfür wird immer der Schutz deiner Familie und deiner Kameraden sein. Solange du dein Herz in den Angriff steckst wirst du in der Lage sein die nächsthöhere Stufe der Blitzmagie nutzen zu können", fügte er mahnend hinzu, woraufhin Eliana spottend die Luft ausstieß. Sie kann sich noch gut an ihre Gedanken zu dieser Zeit erinnern. Schande überkommt sie.
Als würde ich solchen nutzlosen Idealen hinterherjagen.
Eliana ballt ihre Hand zur Faust. Sie kann wieder einmal nicht fassen, wie unsagbar dämlich sie doch gewesen ist.
„Ember wird mir niemals verzeihen können..", haucht sie verbittert, ehe Midan sie aus ihren Gedanken reißt.
„Das..das war der Wahnsinn! Wie hast du..Ich meine..wie..", stammelt er und rauft sich die Haare, während er auf sie zukommt. Sein Blick wird weicher, als er ihr blutverschmiertes Gesicht sieht.
„Geht es dir gut? Bist du verletzt?", erkundigt er sich besorgt und wirft einen genaueren Blick auf ihr Gesicht.
„Das ist nicht mein Blut", entgegnet sie geistesabwesend und starrt in die Ferne. „Dennoch..wir sollten deine Wunden behandeln lassen. Du hast mit Sicherheit auch einiges einstecken müssen", beharrt er und stemmt die Hände in die Hüfte. „Orion! Kümmere dich um die Eskorte der Anderen. Ich werde die Verletzten einsammeln und sie zu den Heilern bringen", weist er seinen Kamerad an, der still nickt und bereits in den Schatten verschwindet.

Schweigend lässt Eliana die Prozedur über sich ergehen, während Midan einige feuchte Lappen verteilt. Sein Gesicht ist von Besorgnis umrandet. Natürlich ist es das. Diese Menschen hier sind seine Familie. Noch nie hatte sie eine Stadt, oder besser gesagt ein Dorf so zusammenstehen sehen. Keiner von ihnen ist zur Seite gewichen. Keiner hat sich davongestohlen. Jeder Magier des Dorfes hat Seite an Seite mit seinen Kameraden gekämpft. Im Königreich Adaron wäre so etwas undenkbar. Das eine ganze Stadt sich zusammenschließen würde, sie Seite an Seite mit den Magiern des schwarzen Rings kämpfen würden..nicht in hundert Leben. Alles lastet auf den Schultern des schwarzen Rings. Jeder Sieg aber auch jede Niederlage. Eliana senkt nachdenklich den Blick. Lastet diese Bürde nun etwa auch auf Embers Schultern?

Erinnerungen an früher schießen ihr durch den Kopf. Erinnerungen von Ember und ihr, als sie noch Kinder waren. Lange bevor die Energiemagierin das Gespräch zwischen ihren Eltern belauschte. Die Bilder sind verschwommen, lückenhaft, beinahe schemenhaft, doch sie sind da. Embers braunes Haar reicht ihr bis zum Steißbein. Die Strähnen fliegen durch die Luft, während sie versucht Eliana zu fangen, die lachend davonrennt.
Damals, ja damlas..
Embers Blindheit war nie ein Problem für sie gewesen. Sie spielte Fangen und Verstecken mit ihr. Sie hielten kitschige Teeparties ab und bauten sich eine Höhle aus Decken im Garten. Sie weiß noch, wie sie auf der Wiese lagen. Es war ein strahlend schöner Sommertag und sie beschrieb Ember die Form jeder einzelnen Wolke am Himmel. Ember verletzte sich häufig, fiel zu Boden oder rannte gegen Hindernisse. Stille Tränen liefen ihr die Wangen herunter, doch sie schrie oder brüllte dabei nie. Eliana hingegen kreischte bereits bei jedem kleinsten Kratzer. Eine Szene kommt ihr hierbei wieder vor Augen. Ember war wieder einmal gegen den Pavillon im Garten gerannt und schürfte sich das Knie auf. Eliana setzte sich neben sie auf den Boden und griff nach ihrer Hand. Sie strich sanft darüber und tätschelte ihren Kopf, während eine der Bediensteten die Schürfwunde verarztete.
„Du musst vorsichtiger sein. Aber mach dir keine Sorgen. Deine Schwester wird immer auf dich aufpassen. Und wenn doch einmal etwas passieren sollte hebe ich dich einfach wieder vom Boden auf. Warte nur ab, irgendwann bin ich stark genug dafür", waren ihre Worte gewesen. Ember starrte ihr mit den großen grauen Augen entgegen und fiel ihr lachend um den Hals. Die Tränen und den Schmerz vergessend.
Es war eine schöne Zeit gewesen. Eine Zeit, die sie viel zu lange vergessen hatte. Wieso hatte sie das alles denn nur vergessen?

„Wie geht es dir?", erklingt Midans Stimme gedämpft, ehe er sich ihr zuwendet und sich auf den Stuhl neben ihrer Liege setzt.
„Mir geht's gut..kümmere dich lieber um deine Leute", murmelt sie kleinlaut und fühlt sich seltsam.
„Du hast unsere Siedlung beschützt. Demnach sind wir dir zu tiefstem Dank verpflichtet. Dein Wohlergehen ist genauso wichtig, wie das der Bewohner der Siedlung", erklärt er kopfschüttelnd, woraufhin sich eine unangenehme Stille ausbreitet. „Das mit deiner Uniform tut mir leid..aber keine Sorge! Sie wird von den Näherinnen bereits geflickt. Sie wird aber wahrscheinlich nicht mehr so hochwertig aussehen wie zuvor, da wir uns solch teure Stoffe nicht leisten können. So lange sie repariert wird kannst du das hier anziehen, damit du nicht mit dem Krankenhemd herumlaufen musst", bricht er die Stille und kratzt sich am Hinterkopf. Er drückt ihr ein weißes Shirt mit einer beigen Hose, gefertigt aus seltsam glattem Stoff in die Hände. Verwirrt nimmt sie die Klamotten entgegen und hebt eine Braue.
„Was..was ist denn mit meiner Uniform passiert?", fragt sie verwundert, woraufhin Midan ihr verdutzt entgegen blickt.
„Sie war völlig zerrissen. Eigentlich würde ich sogar sagen die ist hinüber", erklärt er mit ausladender Handbewegung, ehe er sich selbst unterbricht. „Aber..also..nein ich meine..man kann sie sicherlich noch retten!", stammelt er unbeholfen und hebt abwehrend die Hände vor sich. „Hast du das etwa nicht bemerkt?", hakt er nach, woraufhin Eliana den Kopf schüttelt und einen Blick auf den Schattenpanther wirft, der neben ihrem Bett auf dem Boden döst. Sie ist erleichtert, dass ihm nichts geschehen ist. Die Erleichterung schwindet jedoch genauso schnell wieder, wie sie kam. Sie hat Setto noch immer nicht zu Gesicht bekommen. Seufzend schlägt sie die Decke zur Seite und robbt an die Bettkante, was Midan nur mit schockiertem Ausdruck verfolgt.
„W-Was machst du denn da? Du musst dich noch schonen!", tadelt er und springt im nächsten Moment von seinem Stuhl auf.
„Schwachsinn, mir geht's gut. Ich bin nur noch etwas erschöpft, das geht schon", kontert sie und stemmt sich auf die halb entblößten Beine. Wackelig macht sie ein paar Schritte, ehe die Welt sich zu drehen beginnt. Sie fasst sich zischend an den Kopf und wird im nächsten Moment von Midan gestützt.
„Pfft, nur ein wenig erschöpft, huh?", spottet er und drückt sie sanft wieder auf die Liege.
„Du verstehst nicht..ich habe keine Zeit. Ich muss Setto finden und ihn zurückbringen. Ich muss..", murrt sie und hebt ihren Finger in die Höhe, da sie plötzlich das Gefühl hat sich übergeben zu müssen. Midan fixiert sie dabei mit einem Stirnrunzeln und umfasst ihre Schultern, um sie wieder in eine liegende Position zu bringen.
„Du hast aber auch wirklich nur diesen einen Antrieb in deinem Leben, oder?", zetert er und legt die Decke über sie. „Du sprichst von nichts anderem, als diesem Feuerfuchs. Dabei bist du es doch gewesen, die ihn weggegeben hat. Ich verstehe dich wirklich nicht..", seufzt er, woraufhin Eliana die Augen aufreißt.
„Ich weiß was ich getan habe! Du musst mich nicht daran erinnern", zischt sie erbost und packt ihn grob am Kragen.
„Nun mach aber mal Halblang. Behandelst du so etwa die Leute, die dir helfen wollen?", kontert er und weist sie unumgänglich in ihre Schranken, was sie zur Vernunft bringt. Augenblicklich lässt sie von ihm ab und seufzt ergeben.
„Bitte verzeih..dieses Thema ist nur..es ist..kompliziert", murmelt sie. „Ja, ich habe das alles zu verantworten. Ich habe das alles in die Wege geleitet weil ich ein schrecklicher Mensch bin. Weil ich eine furchtbare Schwester bin und mich fast mein ganzes Leben lang wie das letzte Miststück aufgeführt habe. Mit dem Gedanken meiner Schwester eins auszuwischen habe ich Setto dem Händler überlassen und freute mich anfangs sogar noch über ihre Verzweiflung..", erklärt sie schuldbewusst. „Ich habe viel zu spät erkannt, was ich eigentlich getan habe..was ich all die Zeit über getan habe, doch als ich endlich zur Besinnung kam, war Setto bereits..", fügt sie hinzu und sieht beschämt zur Seite. „Deshalb ist es mir so wichtig ihn zurückzuholen, verstehst du? Ich weiß, dass ich Getanes nicht wiedergutmachen kann, doch ich muss zumindest das für meine Schwester tun. Ich kann ihr sonst nicht mehr unter die Augen treten..", entkommt es ihr flehend, woraufhin Midan einen lautstarken Seufzer von sich gibt und sich übers Gesicht fährt.
„Ich kann nicht verstehen, wie man seiner eigenen Schwester so etwas antun kann", kontert er in eisigem Unterton und schielt von oben auf sie herab, was ihr ein weiteres Stechen in der Brust verschafft. „Jedoch..den Mut zu haben sich seine Fehler einzugestehen und alles zu riskieren, um zumindest einen Teil wiedergutzumachen zeigt, dass du nicht völlig verkommen bist. Das kann ich nicht einfach ignorieren..", fügt er etwas sanfter hinzu und schließt nachdenklich die Augen. „Du hast dein Leben für uns riskiert. Du hast meine Familie beschützt. Meine Freunde. Du hast mich beschützt", spricht er seine Gedanken laut aus. „Egal was es ist, du sollst es bekommen", meint er und erhebt sich. „Sobald es dir besser geht werde ich dich zu ihm bringen", fügt er hinzu und schenkt ihr ein seichtes Lächeln, was Eliana erstaunt die Augen weiten lässt. Die Freude und die Euphorie übermannen sie. All die Strapazen, das Hungern, das Kämpfen..es hat sich gelohnt! Sie ist ihrem Ziel ganz nah!

Blind FireWhere stories live. Discover now