- Kapitel 165 -

850 93 3
                                    

Nathaniels POV

Die Dunkelheit bricht herein und durchzieht das Waldgebiet nahe der Grenze. Lautes Schnaufes und hastige Bewegungen hallen durch die Tiefen des Waldes. Der Feuermagier schiebt einen Zweig nach dem anderen zur Seite. Nur mit Mühe und Not konnte er sich den Fesseln entreißen. Er kneift die Augen zusammen und drängt die Gedanken an seine Kameraden in den Hintergrund.
Sie werden den Tod finden, dessen ist er sich sicher. Als er in Embers Augen gesehen hat, traf ihn diese Erkenntnis.
Sie würde keine Gnade walten lassen.
Sie hatte nicht den Hauch von Skrupel in ihrem Blick. Er kann nichts weiter für Kiana und Kenny tun.
Er hat keinen Ausweg parat, keinen Plan, keine Lösung.
Embers Entscheidung ist endgültig. Er kann sie nicht umstimmen, ganz egal, was er ihr zuflüstern würde. Sie würde ihm niemals erliegen.

Gehetzt sieht er sich um und atmet erleichtert auf, als er keine Schritte hinter sich vernimmt. Sie haben sein Verschwinden wohl noch nicht bemerkt. Er dankt Gott dafür, während er sich weiter durch den Wald kämpft. Wenn er die Nacht durchrennt, würde er Setina bei Tagesanbruch erreichen. Von dort aus wird er unter neuer Identität weiterleben.
Er wird überleben.
Er wird es schaffen.
Er muss nur weitergehen.
Er muss seine Beine weiter antreiben. Ein wahnhaftes Lächeln zeichnet sich auf seinen Lippen ab, als er plötzlich etwas Kaltes an seinem Hals verspürt. Augenblicklich hält er inne und schielt zur Seite. Mit weit aufgerissenen Augen sieht er seinem Angreifer in sein verhülltes Gesicht. Die Kapuze des Umhangs hängt ihm tief in die Stirn, was ihn seine Muskeln anspannen lässt.
„Wer bist du?", fragt Nathaniel schwer atmend, doch er erhält keine Antwort. Stattdessen sieht er einen weiteren Schatten vor seinen Augen vorüberziehen. Eine zweite Klinge schmiegt sich an seinen Hals, während er schwer schluckt. „Wie überaus unartig", flüstert eine weibliche Stimme, die ihn erschaudern lässt.
Eine Frau?
„Deiner Gefangennahme zu entfliehen..was hast du dir dabei nur gedacht?", fährt sie fort und drückt die Klinge enger gegen seine Haut. „Was?", haucht er verwirrt, da er nicht nachvollziehen kann, woher sie über die Umstände Bescheid wissen kann.
„Keine Sorge, wir werden dich nicht töten. Das steht uns nicht zu. Diese Ehre gebührt jemand anderem", reißt sie ihn aus den Gedanken.
„Tch, was denkt ihr wen ihr vor euch habt?", blafft Nathaniel mit erhobenem Mundwinkel und bereitet einen Angriff vor, den die unbekannte Magierin bereits zu stoppen weiß.
„Überspanne den Bogen nicht", knirscht der andere mit tiefer Stimme, was Nathaniel verrät, dass es sich hierbei um einen Mann handeln muss.
„Wer seid ihr? Was wollt ihr?", bohrt er weiter nach, erhält jedoch wieder keine Antwort.
„Du wirst mit uns kommen", weist die Magierin ihn an, woraufhin ihm erneut Fesseln angelegt werden. Dieses Mal jedoch sind es Fesseln bestehend aus Blitzen und dunkler Magie. Erschrocken hebt er die Brauen.
Eine doppelte Absicherung?
Schießt es ihm durch den Kopf, während er realisiert, dass er keinen Ausweg hat.

Der Morgen bricht an, während Nathaniel stumm neben den beiden Magiern hertrottet. Sich zu wehren wäre aussichtslos. Sie sind unerwartet stark. Abgesehen davon sind beide äußerst aufmerksam. Sie würden jegliche Angriffe im Keim ersticken bevor er dazu kommen würde sie abzufeuern. Die beiden rasten nicht. Sie ruhen nicht. Sie laufen stattdessen immer weiter durch den Wald. Sie schlagen genau die Richtung ein, aus der er gekommen war.
Allmählich dämmert es ihm.
Die beiden sind Verbündete seiner Schwester. Es muss so sein. Weshalb sollten sie ihn sonst festhalten? Weshalb sollten sie Ember sonst folgen? Plötzlich kommt ihm ein Gedanke, der ihn grinsen lässt.
„Du bist Eliana Akela, nicht wahr?", durchbricht er süffisant grinsend die Stille, woraufhin Eliana leise schnaubt. „Du bist auf der Seite deiner Schwester? Das überrascht mich durchaus. Den Eindruck hatte ich während des Duells wahrlich nicht", fügt er lachend hinzu, woraufhin Eliana ihre Kapuze nach hinten zieht.
„Sei still", murrt sie, was ihn eine Braue heben lässt.
„Ihr seid euch tatsächlich sehr ähnlich", murmelt er provokant. Eliana hingegen greift nach ihrer Klinge, welche sie von Tarik erhalten hat. Sie richtet sie mit der Spitze voran auf Nathaniel, während sie ihm düster entgegensieht.
„Ich sagte, du sollst still sein", herrscht sie, woraufhin der Feuermagier abwehrend seine gefesselten Hände vor sich hält.
„Nur mit der Ruhe..ich dachte ihr wollt mich nicht töten?", säuselt er fies lächelnd, was Eliana zur Weißglut bringt. Midan umgreift ihre Schulter und sieht ihr eindringlich entgegen, woraufhin sie sich schlagartig beruhigt.
„Das heißt nicht, dass ich dich nicht ordentlich zurichten kann", murrt sie und wendet ihm den Rücken zu.
„Was hättest du denn davon? Würde es dir nicht ebenfalls gelegen kommen wenn deine Schwester verschwinden würde? Du wärst immerhin die Einzige, die übrig bleiben würde. Du hättest all die Anerkennung..all das Ansehen..all die Bewunderung", versucht er es auf andere Art, die wahrscheinlich Früchte getragen hätte, als sie noch genau die gleichen Gedanken hegte.
„Das alles ist mir nicht mehr wichtig. Es schert mich nicht. Meine Schwester hat oberste Priorität. Spare dir deinen Atem. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns", beendet sie das Gespräch und eilt voraus, während Midan den Feuermagier vorantreibt. Ächzend hält er Schritt und muss frustriert feststellen, dass er Eliana so nicht erreichen kann. Es muss einen anderen Weg geben sie umzustimmen. Das hofft er zumindest. Genau wie bei Ember hat er auch in Elianas Augen keinen Zweifel entdecken können. Sie ist genauso entschlossen, wie Ember.

Die Drei überqueren die Grenze der Königreiche auf dem gleichen Weg, wie Eliana vor einigen Wochen. Sie schleichen sich auf leisen Sohlen durch die Grenzstadt Kuramis.
„Es ist nicht mehr weit", presst Eliana hervor, während sie gefolgt von Midan und Nathaniel durch die Nacht eilt.
„Ich folge dir", entgegnet Midan und lässt sich weiter nach hinten fallen, um Nathaniel am Kragen zu packen. Die Blondine hastet durch die Straßen. Neben ihr ihr Schattenpanther mit Setto auf dem Rücken. Eliana schielt zufrieden zur Seite und ballt die Hand zur Faust. Sie wird Ember ihren Begleiter zurückgeben können. Sie wird ihr von Prinz Karems Vorhaben berichten und sie auf Knien um Vergebung bitten. Sie wird alles in ihrer Macht stehende tun, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Tariks Worte kommen ihr in Erinnerung. Betroffen verzieht sie ihr Gesicht. Sie weiß selbst, dass es nicht leicht wird. Die Chancen sind hoch, dass sie ihr niemals vergeben wird. Dennoch..sie muss es einfach versuchen. Selbst wenn Ember sie vor den Kopf stößt, dann soll es so sein. Immerhin kann sie den Konsequenzen ihres Handelns in dem Wissen entgegen treten, dass sie alles getan hat, was sie hätte tun können. Sie muss sich beeilen. Ember und die anderen haben bereits einen großen Vorsprung.

Die Mittagssonne heizt die Straßen der Hauptstadt auf. Dennoch ist es kein Vergleich zu den Temperaturen des Königreichs Trios. Es ist beinahe schon angenehm.
„Ich denke sie werden auf direktem Wege zum Hauptquartier des schwarzen Rings sein", spricht Eliana ihre Gedanken aus, während sie in einer schattigen Gasse rasten.
„Das halte ich auch für wahrscheinlich. Wir sollten uns beeilen", bestätigt Midan nachdenklich und sieht sich um. Es ist eine Weile her, seit er das letzte Mal hier gewesen ist. Ein Schmunzeln schleicht sich auf seine Lippen. Das letzte Mal ist er Eliana über den Weg gelaufen. Und nun ist er mit ihr an seiner Seite erneut hier. Dieses Mal jedoch nicht als Gegner. Dieses Mal als Verbündeter.
„Lass uns das Portal nutzen. Das ist der schnellste Weg", reißt die Blondine ihn aus den Gedanken, während Nathaniel noch immer nach einem Fluchtweg sucht. Leider sieht er nach wie vor keinen Ausweg. Die Fesseln schnüren ihm das Blut ab. Auch Midan hat stets ein wachsames Auge auf ihn. Zischend zieht er die Brauen zusammen.
Soll das wirklich sein Ende sein?

Blind FireWhere stories live. Discover now