Blind Fire

- Kapitel 99 -

„Das kann ich einfach nicht glauben", haucht Meister Tarik zutiefst schockiert. Ich hingegen nicke lediglich betreten mit dem Kopf.
„Das soll ihm vorgeworfen werden? Basiert seine Verhaftung denn tatsächlich auf handfesten Beweisen? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die glauben er hätte das Attentat eingefädelt", hakt er nach, doch wieder kann ich ihm nicht mehr, als eine Geste zu Antwort geben.
„Levion hatte mir erzählt, dass General Sekurion keine andere Wahl hatte. Wenn er ihn nicht eingesperrt hätte, hätte man womöglich die königlichen Instanzen eingeschaltet..die hätten ihn ohne zu zögern zum Tode verurteilt", seufze ich ergeben und fahre mit den Fingerspitzen über die Grashalme neben mir. Eine Weile ist es still zwischen uns und man hört lediglich die Vögel des Waldes zwitschern. Meister Tarik, der sich ebenfalls im Schneidersitz auf den Boden gesetzt hat, scheint die Informationen gedanklich zu zerpflücken. Ein schiefes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Wie oft bin ich die Möglichkeiten bereits durchgegangen?
Wie oft habe ich gedacht endlich einen Plan gehabt zu haben, nur um ihn dann doch wieder verwerfen zu müssen? Egal wie man die Lage dreht und wendet, das Ergebnis bleibt leider immer das gleiche.
„Ich verstehe..ohne die korrekte Aussage der Attentäter wird man ihn wohl nicht so einfach aus dem Kerker holen können. Dem Königshof ist es schließlich einerlei wer nun für das Attentat gerade stehen muss. Ob es nun einer der wahren Täter oder ein hochrangiger General ist..solange die Bevölkerung beruhigt ist nehmen sie das wohl in Kauf", spricht er nun seine Schlussfolgerung laut aus. Ein betrübtes Seufzen entkommt mir, ehe ich mich nach hinten ins weiche Gras fallen lasse. „Ja..aber wie um alles in der Welt soll das bewerkstelligt werden? Wir wissen eigentlich nichts über die Attentäter. Sie sollen scheinbar dem Königreich Trios entstammen, doch auch das sind lediglich durchgesickerte Informationen ohne stichhaltige Beweise..", murmle ich verzweifelt und lege mir einen Arm über die Augen.

„Lady Ember, Meister Tarik, wünscht ihr eine Tasse Tee?", reißt uns eine der Bediensteten aus dem Gespräch, weshalb unsere Köpfe sich in Richtung Terrasseneingang des Anwesens drehen.
„Sehr gern, zwei Tassen grünen Tee, bitte", ordert Tarik gelassen, ehe ich die sich entfernenden Schritte des Dienstmädchens vernehme.
„Hmm Trios sagst du?..Es würde mich zumindest nicht wundern. In Trios sind die meisten und begabtesten Feuermagier zu finden", kommt er auf das Thema zurück und fixiert einen Punkt in der Ferne.
„Selbst wenn das der Wahrheit entspricht, so ist es unmöglich drei einzelne Feuermagier in solch einem großen Königreich ausfindig zu machen..abgesehen davon würde man sicherlich keinen Bürger Adarons einfach so über die Grenzen spazieren lassen. Schon gar keine Mitglieder des schwarzen Rings", spreche ich meine Gedanken dazu laut aus und höre ihn kurz darauf mit den Fingern schnippen.
„Nun, Bürger des Königreichs Adarons vielleicht nicht..doch, was ist mit Bürgern des Königreichs Trios?", wirft er nun schelmisch grinsend ein, woraufhin ich lediglich meine Stirn runzle.
„Ich verstehe nicht ganz worauf sie hinaus wollen, Meister", entgegne ich fragend.
„Nun, wie du weißt, entstamme ich dem Königreich Trios. Meine Rückreise ist ebenfalls kein Problem. Solange man die nötigen Dokumente besitzt lassen einen die Grenzposten passieren", erklärt er, was bei mir allerdings nur noch mehr Fragen aufwirft.
„Ich verstehe noch immer nicht. Logischerweise haben Bürger Adarons keine solchen Dokumente und würden selbstverständlich auch an keine derartigen Papiere herankommen", meine ich und setze mich schwungvoll auf.
„Nicht auf offiziellem Wege", kontert er schelmisch grinsend und hat dabei seinen Zeigefinger an seine Lippen geführt. Irritiert hebe ich eine Braue und winkle meine Beine an. Der laue Sommerwind weht mir um die Beine und lässt mir meine Haare ins Gesicht fallen.
„Selbst wenn es gelingen würde gefälschte Papiere zu ergaunern ist es dennoch nicht sicher, ob die Grenzposten sie nicht augenblicklich enttarnen würden. Was mit solchen Betrügern im Reich Trios geschieht will ich mir lieber nicht vorstellen..", entgegne ich und schüttle mich bei dem Gedanken daran.

„Lady Ember, Meister Tarik, ich serviere nun den Tee", unterbricht das Dienstmädchen erneut unser Gespräch und nähert sich mit einem silbernen Tablett. Ihr magischer Fluss ist schwach, ihre Präsenz ist mit nicht mehr als seichten Nebelschwaden zu erkennen. Langsam und vorsichtig geht sie in die Knie und legt es behutsam auf dem Boden ab.
„Vielen Dank", entgegnet Meister Tarik in freundlichem Tonfall.
„Bitte lasst mich wissen, sollten sie noch etwas benötigen", erklingt die sanfte Stimme des Mädchens, ehe sie sich erneut entfernt.
„Hach..es will mir einfach keine Lösung einfallen..", seufze ich frustriert und raufe mir die Haare.
„Nur nicht verzagen. Vielleicht liegt die Lösung bereits näher, als du denkst", muntert er mich auf, während er sachte über den Tassenrand pustet, um den Tee ein wenig abzukühlen.
„Mag sein..", flüstere ich abwesend, ehe er erneut die Stille durchbricht.

„Sag mal, hast du Agira abgeschworen oder weshalb hast du ihn noch immer nicht wiederhergestellt?", lenkt er nun auf ein anderes Thema. Ich lache leise auf und stütze mich auf meinen Händen ab. „Selbstverständlich nicht, doch..ich habe bemerkt, dass ich mich in letzter Zeit einfach viel zu sehr auf ihn und seine Hilfe verlassen habe. Ich möchte ein paar Tage damit verbringen meine Instinkte auf Vordermann zu bringen, das ist alles", erkläre ich schmunzelnd und ernte ein raues Lachen seinerseits. „So so..", murmelt er verschmitzt weshalb ich mein Gesicht verziehe.
„Was soll das heißen?", entgegne ich und lehne mich dabei weiter nach vorn.
„Was soll es denn heißen?", kontert er mit einer Gegenfrage, auf die ich lediglich seufze.
„Keine Belehrungen? Keine Ermahnungen nicht so leichtfertig zu sein?", hake ich nach und höre ihn schlürfen.
„Nein", entgegnet er, nachdem er runtergeschluckt hat.
„Nein?", wiederhole ich ungläubig.
„Du bist mittlerweile reif und stark genug, um deine Entscheidungen selbst beurteilen zu können. Wenn du das für das Richtige hältst, so habe ich dem nichts entgegenzusetzen", erklärt er und hat dabei sein verschmitztes Grinsen aufgesetzt. Das erkenne ich an seiner Tonlage. Ich schürze meine Lippen und lehne mich wieder ein Stück zurück.
„Oder hättest du dennoch gern meine Meinung dazu, obwohl du meine Lektionen in der Vergangenheit doch so sehr verflucht hast?", provoziert er mit erhobener Braue, was mir eine dezente Röte ins Gesicht treibt.
„Es ist nicht so, dass ich es für nötig halte..doch..sie haben bislang immer Recht behalten, deshalb..", stammle ich und versuche dabei meine Fassung zu wahren.
„Nun denn..wenn das so ist..", murmelt er lachend, was mir ein Augenrollen einbringt.
„Ich halte diese Entscheidung keinesfalls für falsch. Es ist gut, dass du scheinbar zurück zu den Wurzeln unseres Trainings möchtest, doch bedenke, dass du nun nicht länger so behütet und unbekümmert durch die Welt schreiten kannst, wie zuvor. Durch deinen Sieg liegen viele Augenpaare auf dir. Teils bewundernde und teils verachtende. In den Reihen des Volks, sowie in den eigenen Reihen. Sei also auf der Hut und denk daran, dass dich all deine Fähigkeiten ausmachen. Sei es nun durch deine eigene Kraft oder durch die Kraft deines Artefakts", erklärt er, während ich fasziniert lausche. Meister Tarik ist mit seinen noch recht jungen Jahren so weise, wie kein anderer. Auch dieses Mal kann ich ihm nichts entgegen bringen.
„Spürst du Agira nicht nach dir rufen? Es muss ein sehr starkes Gefühl der Sehnsucht sein, da ihr beiden bereits auf solch einer tiefen Ebene verbunden seid", fragt er nun und nippt erneut an seinem Tee.
„Doch..ich kann es fühlen. Er bittet mich inständig darum ihn zurückzuholen, doch gleichzeitig lässt er mich wissen, dass er bereit ist zu warten. Er wartet solange, bis ich ihn erneut brauche. Es ist schwierig das in Worte zu fassen..ich kann es einfach fühlen", entgegne ich und kaue dabei auf meiner Unterlippe. „Wirklich bemerkenswert..eure Bindung..", murmelt er und nimmt einen erneuten Schluck.