- Kapitel 42 -

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Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe herum während das Ordensmitglied sich bereit macht mich ins nächste Teleportationsloch zu schicken. Ihm scheint meine Nervosität nicht zu entgehen, denn er blickt sanft lächelnd zu mir hinab, als wolle er mich beruhigen.
„Ich denke sie werden sich keinerlei Sorgen machen müssen, Miss", meint er leise, während er mich richtig positioniert. „Wenn ich ihnen ein kleines Geheimnis verraten darf..bislang ist noch kein Teilnehmer jemals hinter den eigentlichen Sinn dieser Aufgabe gekommen. Das beweist, dass sie äußerst scharfsinnig sind. Ich bin mir sicher, dass ihnen diese Fähigkeit auch bei der Bewältigung der weiteren zwei Aufgaben nützlich sein wird", fügt er erklärend hinzu und entfernt sich einige Schritte, um den Zauber zu sprechen.
„Vielen Dank, Sir. Ich schätze ihre Geste mir Mut zu machen wirklich sehr", entgegne ich höflich und verneige mich dezent, ehe ich auch schon von bläulich schimmerndem Nebel umgeben bin.

Als ich das nächste Mal meine Augen aufschlage finde ich mich in einer weiten, wüstenähnlichen Landschaft wieder. Vor mir erstecken sich einige kantige Felsen, die entlang eines breiten, steinigen Erdstreifens verlaufen. Der Boden ist fest und besteht aus massiver Erde, doch wirklich optimal ist die Umgebung für die Fauna und Flora nicht gerade. Lediglich am Rande finden sich seichte Büsche und einige wenige Bäume, die ein recht mageres Blätterkleid tragen.

Ich blicke mich prüfend um und entdecke drei weitere Magier, die sich ebenfalls interessiert umschauen. Ich werfe einen Blick über meine Schulter, da ich seltsame Schwingungen vernehme und staune nicht schlecht, als ich einer Schlucht direkt in den Abgrund blicke. Sie ist so tief, dass man das Ende nicht sehen kann. Nicht einmal meine Impulse dringen bis zum Grund hinab, da der Weg zu lang zu sein scheint und sich die Schwingungen auf dem Weg runter verlieren. Alles, was ich sagen kann ist, dass es mindestens zweihundert Meter abwärts geht. Die scharfkantige Klippe erstreckt sich kilometerweit nach links und rechts. Man kann das Ende nicht erfassen. Auch die andere Seite der Schlucht ist nahezu nicht zu erkennen, da sie in dichten Nebel gehüllt ist.

Ich verziehe meine Lippen zu einer Linie und werde unwillkürlich an die erste Etappe erinnert. Dieses Areal hier weist einige Ähnlichkeiten mit dem des ersten Schauplatzes auf. Mit dem Unterschied, dass es hier keine magischen Barrieren zu geben scheint und es ein paar Pflanzen zur Oberfläche geschafft haben – wenn auch nur wenige.

„Herzlich Willkommen zur zweiten Aufgabe dieser Etappe. Ich gratuliere jedem von euch zum Sieg der vorigen Hürde", begrüßt uns das Ordensmitglied, welches soeben aus dem Schatten des zerrupften Baumes hervortritt. „Kommen wir nun zur Sache. Wie ihr wahrscheinlich selbst schon festgestellt habt befindet sich hinter euch ein tiefer Abgrund. Vor euch hingegen erstreckt sich ein weites, unüberschaubares Areal, geprägt von Felsen und ein paar Sträuchern am Rande", erklärt er das Offensichtliche und schnippt einmal kurz mit seinen Fingern. „Eure Aufgabe besteht darin euch zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden", fährt er fort, während sich eine Armee am Horizont abbildet. Mit jeder Sekunde, die verstreicht, kommt sie näher und näher. Es scheint kein Ende zu nehmen.
Jeder von uns blickt mit geweiteten Augen zum Horizont, der sich mittlerweile zu einem rechten Ameisenhaufen entwickelt hat.
„Und zwar in den Abgrund zu springen und darauf zu hoffen, dass euch am Grund ein Fluss erwartet, der euren Aufprall dämpfen wird oder euch der Armee feindlicher Magier zu stellen", erklärt er, während ich scharfes Lufteinziehen der Magier neben mir vernehme.
Auch ich bin verwirrt. Wir sollen uns also zwischen dem Tod und dem Tod entscheiden? Das ergibt keinen Sinn.
Grübelnd fasse ich mir ans Kinn, während das Ordensmitglied weiterspricht.
„Gibt es irgendwelche Fragen?", erklingt es, woraufhin ein aufgebrachtes Schnauben neben mir ertönt.
„Ja! Wollen sie uns umbringen?! Das kann doch nicht ihr ernst sein", entkommt es der schwarzhaarigen Magierin neben mir, die sich empört die Hände in die Hüften stemmt. Ihr langes Haar ist glatt, so wie meines, und weht ihr wild um den Kopf herum, da es am Rande des Abgrunds stark windet.
Das Ordensmitglied verzieht amüsiert seine Mundwinkel und schüttelt den Kopf.
„Haben sie vielleicht einen Ratschlag? Irgendetwas, dass uns bei der Entscheidung helfen kann?", mischt sich der Rotschopf zwei Plätze weiter ein.
„Wählt weise", entgegnet das Ordensmitglied schmunzelnd und verschwindet vor unseren Augen.

„Toller Ratschlag", murrt der Magier und sieht prüfend hinter sich. Ich hingegen bin mir sicher, dass das Ordensmitglied uns mit seiner Aussage nicht triezen wollte. Vielmehr glaube ich, dass es uns tatsächlich eine Hilfe sein sollte.
„Was soll das denn für eine Aufgabe sein?! Wir werden so oder so draufgehen. Egal, wie wir uns entscheiden", meint die Schwarzhaarige neben mir genervt und wirft ihre Hände in die Luft.
„Also ich weiß ja nicht, wie es euch geht aber ich springe lieber hier runter bevor ich mich qualvoll aufspießen lasse", wirft der Rotschopf nun ein und lässt seinen Blick zwischen uns her gleiten.
„Denkst du wirklich es ist angenehmer in den Tod zu stürzen, als in den Tod zu marschieren?", kontert der junge Magier neben mir, der sich bislang aus der Konversation rausgehalten hat.
„Stell dir vor, das denke ich. Außerdem sagte das Ordensmitglied etwas von einem Fluss am Grund", entgegnet der Rotschopf mürrisch und sieht erneut hinab in den Abgrund.
„Pfft, also springst du in den Tod nur weil jemand sagte, dass es vielleicht und möglicherweise einen Fluss am Grund geben könnte?!", kontert mein Nachbar und verschränkt belustigt die Arme vor der Brust.
„Hey, irgendwie müssen wir uns doch entscheiden! Wenn wir springen haben wir wenigstens eine kleine Chance zu überleben. Wenn wir hier bleiben und darauf warten, dass uns die Armee von Gegnern erreicht sind wir ganz sicher tot. Gegen diese Menge an Magiern hätten wir nicht einmal eine Chance wenn der gesamte schwarze Ring hinter uns stünde", argumentiert der Rotschopf und erntet zustimmendes Nicken seitens der Magierin links von mir.
„Wo er recht hat..", murmelt sie und wendet sich ebenfalls dem Abgrund zu.
„Was ist mit dir? Du hast bisher noch überhaupt nichts gesagt", richtet der Rotschopf sein Wort an mich.
„Ich überlege noch", meine ich knapp und beobachte nachdenklich die voranschreitende Armee.
„Was gibt es da noch zu überlegen?! Unsere einzige Chance ist es zu springen", blafft er verständnislos, woraufhin ich meinen Kopf zu ihm drehe.
„Nur weil diese Armee deine Grenzen sprengt heißt das noch lange nicht, dass sie auch meine überschreitet", kontere ich keck und lege ein schiefes Grinsen auf.
Ein fassungsloser Ausdruck schleicht sich auf sein Gesicht, ehe er den Kopf schüttelt.
„Du bist wahnsinnig wenn du denkst, du könntest es mit so viel Mann aufnehmen", entgegnet er mir ungläubig und tritt näher an den Abgrund heran. „Ich werde springen. Seid ihr dabei oder nicht?", stellt er uns nun die Frage und sieht abwartend in die Runde.
„Ich glaube du hast recht. Ich komme mit dir", schließt die Schwarzhaarige sich an und stellt sich dicht neben ihren Verbündeten.
„Was ist mit euch?", wendet er sich nun an uns Verbliebene.
„Ich passe", spottet der Schwarzhaarige neben mir lachend, woraufhin der Blick des Rotschopfs zu mir gleitet.
„Ich ebenfalls", schließe ich mich meinem Nachbarn an und ernte ungläubiges Kopfschütteln.
„Ihr werdet hier draufgehen", murmelt er bevor er nach der Hand des Mädchens greift und sich gemeinsam mit ihr in die Tiefe stürzt.

Erstaunt blicken wir ihnen hinterher, solange bis sie in dichtem Nebel verschwinden und nicht mehr zu sehen sind. Lediglich der Schrei der Magierin hallt noch einige weitere Sekunden nach, bis auch dieser letztlich verstummt und vom Abgrund geschluckt wird.

Blind FireWhere stories live. Discover now