- Kapitel 12 -

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Mit einem Satz schwinge ich mich in hohem Bogen auf den Gehstock des Mädchens und versuche balancierend mein Gleichgewicht zu halten. Erschrocken weicht sie einen Schritt zurück, da sie mein Manöver offensichtlich überrumpelt hat. Noch bevor sie einen Angriff ausführen kann greife ich mir ihre Arme und befestige sie auf ihrem Rücken, während ich mich krampfhaft an das Schwebeseiltraining von Meister Tarik erinnere. Etliche Male trainierte ich das Laufen, Stehen und Kämpfen auf einem in der Luft schwebenden Seil. Dennoch ist ein sich fortbewegender Stock nicht ganz damit zu vergleichen. Ich lasse mir meine Unsicherheit allerdings nicht anmerken und halte meiner Geisel meine glühenden Fingernägel an die Kehle.
„Wenn du nicht sterben willst dann nimmst du mich jetzt ein Stückchen mit, ja?", frage ich gespielt nach Erlaubnis und plane bereits meine nächsten Schritte.

Mir ist durchaus bewusst, dass ich nicht ewig so durch die Lüfte segeln kann. Andere Luftmagier werden dem Mädchen in meinem Armen schon bald zur Hilfe eilen. Wenn ich nicht davon gefegt werden will muss ich mir etwas einfallen lassen.
„Ihr dämlichen Energiemagier! Haltet euch für so viel besser! Ihr kotzt mich an", zetert sie wütend woraufhin ich schmunzelnd nicke.
„Ja ja, wir sind eine echte Plage", säusle ich lachend und kann nicht fassen, wie gut mein Plan funktioniert. Meine Kräfte so zu tarnen, dass man sie für die eines Energiemagiers hält war ebenfalls Meister Tariks Idee. Sobald ich dieses Duell endlich für mich entschieden habe und wieder nach Hause zurückkehre, werde ich mich vor ihm auf die Knie fallen lassen und seine Füße küssen.

„Was-Was ist das?", reißt mich die zitternde Stimme der Luftmagierin aus meinen Gedanken, woraufhin ich mich prüfend in der Gegend umsehe.
„Das ist..Nebel..", murmle ich und versuche angestrengt zu erkennen, was vor uns liegt. Der vorherrschende Wasserdampf wird immer dichter und gibt schließlich überhaupt nichts mehr vom Untergrund preis, was mir ein ungutes Gefühl in der Magengegend bereitet. Ich kann weder erkennen, was sich unter uns abspielt noch kann ich sehen, was vor uns lauert. Ein Wassermagier hat es doch tatsächlich geschafft genügend Flüssigkeit aus den Wolken zu ziehen, um Nebel zu erschaffen. Oder er hat die thermalen Ströme unterhalb der Erdoberfläche aufgespürt, die ich ganz zu Beginn des Duells während meiner Bodenanalyse bereits vernommen habe.
„Halt an", befehle ich meiner Geisel, die den Kopf entgeistert zu mir nach hinten dreht.
„Ich kann nicht", meint sie woraufhin ich meine Augen aufreiße.
„Wie du kannst nicht?", wiederhole ich ihre lächerliche Aussage fragend, während sie zornig die Brauen zusammenzieht. „Wenn ich anhalte sinken wir. Mein Stab wird von den Aufwinden getragen, sobald ich also stehen bleibe-", beginnt sie zu erklären, wird allerdings von mir unterbrochen. „Fallen wir", beende ich ihren Satz und sehe sie nicken. „Ihr Luftmagier seid wirklich zu nichts zu gebrauchen", nörgle ich gereizt und lasse von ihr ab. „Kannst du uns zumindest weiter runter bringen? Ich werde abspringen sobald wir nah genug am Boden sind", frage ich nachdenklich und ernte spottendes Schnauben.
„Wie kommst du auf die Idee, dass ich dir den Gefallen tue? Du willst runter? Dann bitte, spring in den Tod", bietet sie mir süffisant grinsend an, woraufhin ich ohne zu wanken auf den schmächtigen Körper mir gegenüber zukomme. „Wie du willst, aber dann nehme ich dich mit mir", drohe ich ihr und packe sie hastig am Kragen ihres luftig anliegenden weißen Shirts.
„Hey, hey..immer mit der Ruhe!", druckst sie panisch herum und hebt abwehrend die Hände vor sich. „Ist ja Gut, schon gut! Ich bringe dich runter", versichert sie mir, woraufhin ich langsam von ihr ablasse. „Dir ist aber schon klar, dass wir nicht wissen, was da unten gerade vor sich geht", meint sie ängstlich und lässt den Gehstock kontrolliert an Höhe verlieren.
„Ja", entgegne ich knapp und verschränke meine Arme vor der Brust.

Zugegeben, ich fühle mich tatsächlich unwohl jetzt hier abzuspringen, da ich absolut nichts sehen kann. So blind, wie momentan habe ich mich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gefühlt. Andererseits ist es zu gefährlich weiterhin in der Luft zu bleiben. Ich bin schließlich keine Luftmagierin und sollten wir auf unerwartete Hindernisse stoßen könnte der tiefe Fall meine letzte Reise gewesen sein.

„Und du bist sicher, dass du da runter willst?", hakt sie nochmals nach woraufhin ich ihr einen mahnenden Blick zuwerfe.
„Bist du denn sicher, dass du weiterhin blind durch die Gegend fliegen willst?", kontere ich mit einer Gegenfrage, die sie schulterzuckend beantwortet. „Ist immer noch besser, als denen dort unten ausgeliefert zu sein", meint sie und ich ertappe mich dabei, wie ich ihr teilweise zustimme muss.
„Tja, für einen Luftmagier scheint das wohl die beste Lösung zu sein, doch für mich ist es meterhoch über dem Boden wesentlich gefährlicher, als dort unten auf dem Boden. Die Nekromanten haben wir schon vor einer Weile hinter uns gelassen. Draus schließe ich, dass wir jetzt in etwa auf Höhe der Spitzenreiter sein müssten. Mit denen werde ich schon fertig", erkläre ich und ernte einen erstaunten Ausdruck ihrerseits.
„Sag mal, du bist doch eine Energiemagierin, oder?", hakt sie skeptisch nach, während ich mich unmerklich anspanne.
„Ich dachte das Thema hätten wir schon abgeschlossen?", versuche ich mich aus der Schlinge zu ziehen und werde weiterhin argwöhnisch beäugt. „Ja, das schon aber..du bist viel zu ruhig für eine Energiemagierin. Normalerweise handeln sie explosiv und unbedacht, doch du wirkst äußerst stabil, fast so, als würdest du eine gut ausgereifte Strategie verfolgen", vertieft sie ihre absolut stimmige Theorie während ich spüre, wie die Luft für mich immer dünner zu werden scheint.
„Bin ich dir etwa nicht arrogant genug? Oder denkst du ich wäre nicht brutal genug? Ich kann dir meine explosive Seite gern demonstrieren wenn du willst", kontere ich scharfzüngig und sehe sie zurückschrecken.
„Nein, nein, das ist es nicht! Ich..ich habe nur laut gedacht..", versucht sie sich aus der Affäre zu ziehen und wedelt abwehrend mit den Händen vor sich umher.
„Dann hör auf mir Löcher in den Bauch zu fragen und bring deinen Stock endlich in Bodennähe", zische ich gespielt angesäuert, um den Schein eines explosiven und ungeduldigen Energiemagiers zu erwecken und sehe sie hastig nicken.

„Verdammt, wie weit ist es denn noch? So hoch in der Luft waren wir doch überhaupt nicht", zetere ich ungeduldig.
„Das kann täuschen. Ab dem Moment in dem wir in den dichten Nebel flogen haben wir jegliche Relation zum Untergrund verloren. Die Aufwinde könnten sich verstärkt haben und uns somit weiter in die Höhe getragen haben ohne, dass wir etwas davon bemerkt haben", erklärt sie nachdenklich und sieht besorgt nach unten. Mit zusammengeschobenen Brauen mustere ich sie und werfe einen genaueren Blick auf ihren Gehstock, auf dem ich mittlerweile einen guten Stand gefunden habe.
„Dieser Stock..", beginne ich zu murmeln. „Er ist dein Artefakt, nicht wahr?", frage ich monoton und fasse mir dabei ans Kinn.
„Ja", entgegnet sie mir knapp, während uns eine Windböe trifft. Ich taumle einen Moment, fange mich jedoch recht schnell wieder.
„Dann nehme ich an, dass du Probleme beim Gehen hast?", frage ich neugierig und versuche mich daran zu erinnern, welche Gegenstände ich bei den anderen Magiern ihrer Klasse gesehen habe.
„Ja, mein linkes Bein hinkt etwas, da ich als kleines Mädchen in einen Unfall hineingezogen wurde", erklärt sie, woraufhin ich überrascht die Brauen hebe. Ich hatte nicht erwartet einen Magier zu treffen, dessen Artefakt ebenfalls eine körperliche Einschränkung ausgleicht. „Was ist dein Artefakt?", stellt sie mir die Gegenfrage woraufhin ich den Kopf anhebe.
„Na was denkst du denn?", kontere ich ausdruckslos und sehe sie mit den Schultern zucken.
„Keine Ahnung. Du trägst nichts Auffälliges bei dir, abgesehen von deiner Sonnenbrille", meint sie nachdenklich, während ich sie weiterhin anstarre. „Oh..dann bist du wohl lichtempfindlich..nicht gerade optimal für eine Energiemagierin, die mit Blitzen um sich schießt", fügt sie hinzu, als der Groschen gefallen ist und sie ihre Theorie zusammenspinnt. Ich lasse sie einfach in dem Glauben und erwidere nichts darauf.

„Hey, ich sehe den Boden!", platzt es plötzlich aus ihr heraus woraufhin auch ich meinen Blick nach unten richte.
„Na endlich..", murmle ich und versuche einzuschätzen, wie die Lage dort unten aussieht. „Bist du wirklich sicher, dass du hier abspringen willst?", hakt sie nach, während sich ein kleines Schmunzeln auf meinen Lippen bildet.
„Wieso? Würdest du denn weiterhin meinen Kutscher spielen?", stelle ich ihr provokant die Gegenfrage und recke neckisch mein Kinn.
„Ich..so war das nicht gemeint!", rechtfertigt sie sich aufgebracht und rümpft die Nase.
„Machst du dir etwa Sorgen um mich? Ich dachte du kannst Magier meiner Klasse nicht ausstehen", trieze ich sie und gönne mir noch ein wenig Spaß mit ihr bevor es wieder ernst wird.
„Kann ich auch nicht! Du bist nur..du bist..okay", bringt sie drucksend über die Lippen und wendet ihren Blick dabei ab, während sie ihr Kinn trotzig in die Höhe streckt.
„Na das nenne ich mal ein Kompliment", lache ich leise auf und ziehe die Glutleine, die noch immer am unteren Stockende befestigt ist stramm, um mich abzuseilen. „Du bist auch nicht so übel..für eine Luftmagierin", füge ich grinsend hinzu und springe im nächsten Moment bereits in die Tiefe.

Blind FireWhere stories live. Discover now