- Kapitel 117 -

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Staunend und mit langsamen Schritten umrunde ich das Trainingsareal erneut, um zu den anderen zurückzukehren. Meine Augen weiten sich anerkennend, als ich Hera kämpfen sehe. Ich bin völlig fixiert auf sie. Ihre Angriffe sind eine Wucht und das im wahrsten Sinne des Wortes. Während des Duells der magischen Künste hatte ich bereits mit einigen Luftmagiern das Vergnügen, doch Hera stellt sie alle gnadenlos in den Schatten.
Noch immer fasziniert geselle ich mich zu Salem, der mit verschränkten Armen den Kampf verfolgt. Eine heikle Situation spitzt sich zu. Heras Gegner hat sie augenscheinlich sehr unter Druck gesetzt. Der Erdmagier gegen den sie antritt gönnt ihr keine Verschnaufpause. Im Sekundentakt schleudert er ihr die sandig-erdige Masse entgegen, der sie bisher ebenso schnell ausweichen konnte, wie sie angeflogen kam. Wütend schiebt der Erdmagier seine Brauen zusammen und erhöht das Tempo seiner Angriffe noch weiter. Hera hingegen hält mit ihm Schritt, weshalb sich mein Mund einen Spalt weit öffnet. Ein unglaublicher Anblick. Es ist beinahe so, als würde sie durch die Lüfte tanzen und die Erdbrocken als Bühne verwenden.
„Unfassbar..", hauche ich, woraufhin Salem schmunzelnd eine Braue hebt und zu mir hinab schielt.
„Das ist das erste Mal, dass du sie kämpfen siehst, nicht wahr?", fragt er noch immer grinsend. Stumm nicke ich und habe meinen Blick noch immer nicht von ihr losreißen können. Ihre Angriffe gleichen der Stärke eines Orkans mit der Schönheit einer Sommerbriese.
„Ich habe einen Luftmagier noch nie so kämpfen sehen", murmle ich befangen und ernte ein wissendes Nicken seitens Salem.
„Heras Kampfstil ist wahrlich einzigartig. Ihre Familie besteht seit Generationen aus reinen Luftmagiern, weshalb ihre Magie auch so wunderschön anzusehen ist. Das Wissen und die Erfahrungen ihrer Lehrmeister stellt alles mir bekannte in den Schatten", erklärt der Rothaarige ebenfalls bewundernd, als Hera an uns vorbeitänzelt und in hohem Bogen durch die Luft schwebt.
„Sie hatte mehrere Lehrmeister? Das muss fantastisch gewesen sein. Von mehreren begabten Magiern zu lernen ist ein großes Privileg", entgegne ich und verschränke meine Hände hinter meinem Rücken. Das Füchschen sitzt derweil ebenso gebannt von Heras Kampf neben mir und verfolgt die Szenen vor sich.
„In der Tat, das müsste man meinen, doch Hera spricht nicht gern über ihre Zeit vor dem schwarzen Ring. Ihre Lehrmeister waren sehr streng mit ihr und haben sie bei jedem noch so kleinen Fehler hart bestraft. Als Erbin einer Familie so reiner Magie lastet ein enormer Druck auf dir. Hohe Anforderungen denen man entsprechen muss", offenbart er mir einen Teil ihrer Vergangenheit. Überrascht ziehe ich meine Brauen in die Höhe.
„Hera wirkt immer so unbeschwert und..leicht. Ich hatte nicht erwartet, dass sie einen solch schweren Weg vor sich hatte", murmle ich und lenke meinen Blick zur Seite.
„Den wenigsten sieht man an, welch dunkle Zeiten sie bereits hinter sich haben", entgegnet Salem und vollführt eine ausladende Handbewegung, während mir augenblicklich Szenen des Gesprächs zwischen Alastair und mir in Erinnerung kommen. Auch er hatte ein beschwerliches Leben. Auch ihm hatte man es nicht angesehen.
„Sieh dich um, Ember. Dewi ist der mit Abstand Jüngste von uns. Ein wahres Naturtalent, ein Genie, sagte man. All die harte Arbeit, die er investierte, um so stark zu werden ist allerdings den wenigstens bekannt. Seine Wassermagie ist ebenso schön und stark wie Heras Luftmagie. Anders als Hera stammt Dewi allerdings nicht von einer Familie reiner Magie ab. Etliche Generationen vor ihm wurden völlig ohne magische Affinitäten geboren. Er ist der Erste seit einer gefühlten Ewigkeit. Er entstammt auch nicht dem Adel, sondern wurde in die einfache Bevölkerungsschicht geboren. Seine Mutter ist ein herzensguter Mensch ohne magische Kräfte. Sie hat ihn ganz allein großgezogen. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, doch er muss ein wahrhaft starker Wassermagier gewesen sein", erklärt er, während ich zu Dewi schiele, der Hera mit voller Kraft anfeuert. Seine blauen Augen leuchten dabei, als wäre es sein eigener Kampf. „Oder nehmen wir Ray und Darko. Die beiden sind Geschwister, könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein. Jeder von ihnen besitzt über ganz eigene Talente und ist jeder für sich ein überaus starker Magier. Mit Eltern, die unterschiedliche Magierklassen besitzen ist es jedoch nicht so leicht, wie es den Anschein macht. Ray sowie auch Darko wurde die Gunst eines Elternteils zuteil, doch die Anerkennung des anderen Elternteils, welches nicht der eigenen Magierklasse entspricht wird nie groß genug ausfallen. Darko sehnt sich nach der Liebe seiner Mutter, während Ray um die Gunst seines Vaters kämpft. Ein Kampf, der nicht gewonnen werden kann", berichtet er, woraufhin ich augenblicklich einen Hauch von Mitleid für die Beiden empfinde.
Wie es scheint herrscht auch in anderen Familien Unruhe und Ungerechtigkeit. Ich fühle mich fast schon schlecht dabei erleichtert darüber zu sein. „Raven hingegen ist am Rande des Königreichs aufgewachsen. Die kleinen Dörfer im Norden Adarons sind bekannt dafür recht konservativ eingestellt zu sein. Als uneheliches Kind wurde er von den meisten im Dorf gemieden. Sein Vater ist ihm zwar bekannt, doch dieser hat ihn von sich gestoßen. Seine Mutter zog ihn die ersten Jahre seines Lebens groß, bis ihr die Missgunst der anderen Dorfbewohner zu viel wurde und auch sie ihn verstieß. Der Einzige, der sich ihm annahm war ein älterer Mann, der ebenfalls als Außenseiter im Dorf galt. Er spricht immer sehr gut von ihm, was deutlich zeigt welchen Stellenwert er bei ihm hat. Nichtsdestotrotz konnte auch er kein Ersatz für eine Mutter oder einen Vater sein", fährt Salem fort, während sich meine Augen weiten.
Jeder von uns scheint ein schweres Schicksal zu haben. Jedem von uns wurde Unrecht getan. Jedem wurden Schmerzen zugefügt. Schmerzen, die tiefe Wunden hinterlassen haben, die niemals verheilen werden. Ein tiefes Seufzen entkommt mir bei dieser Erkenntnis.
„Auch Jasper teilt ein ähnliches Schicksal, wie die anderen. Der Ketzerei beschuldigt wurde er aus der Stadt gejagt", erzählt er, woraufhin ich fragend mein Gesicht verziehe.
„Wieso ist das geschehen?", hake ich nach, während er seufzt.
„Wie du weißt genießen dunkle Magier nicht gerade ein hohes Ansehen in der Gesellschaft. Da Arion ein Schattenwolf ist und somit zu den dunklen Wesen zählt hatte man Jasper einen Ketzer genannt. Er würde seine wahre Magierklasse verschleiern. Er sei kein wahrer Illusionist, sondern ein dunkler Magier, so sagte man. Das dass natürlich Schwachsinn ist ließen sie sich aber nicht sagen. So kam es, dass Jasper eines Tages gemeinsam mit Arion durch die Ländereien Adarons streifte und in der Hauptstadt hängen blieb. Hier stellte er sich auch dem Duell der magischen Künste, weshalb er nun ein sehr geschätztes Mitglied unseres Trupps ist", erläutert er mit einem seichten Lächeln. „Doch nicht nur er..auch die Wege aller anderen führten in der Hauptstadt zusammen. Jeder gelangte irgendwann an den Punkt, an welchem er sich dem Duell stellte. Das macht sie alle zu geschätzten Mitgliedern dieser Einheit. Jeder von ihnen verfügt über sagenhafte Fähigkeiten. Ich muss ehrlich gestehen, dass es mich freut zu sehen, dass sie endlich ihren Platz in der Welt gefunden zu haben scheinen. Hier kann jeder auf seine eigene Art glänzen und wachsen. Diskriminierung und Verachtung kann man getrost hinter sich lassen. Alle von ihnen sind mir unersetzlich. Sie sind zu meiner Familie geworden, genauso wie wir zu ihrer geworden sind", fährt er fort und entlockt mir ein wohlig warmes Gefühl in der Magengrube.
Salem hat recht. Jeder von uns hat seine eigenen Bürden zu tragen, eigene Lasten und harte Schicksalsschläge, doch was er damit sagen will ist, dass man sie nicht länger alleine tragen muss.

Ich muss gestehen, dass ich das noch nie auf diese Weise betrachtet habe. Alles, was ich in dieser Einheit gesehen habe waren meine Kameraden, die mir im Kampf zur Seite stehen. Ihr familiäres Verhalten ist mir durchaus nicht entgangen, doch ich selbst stand immer ein Stück weit außen vor wenn ich so recht darüber nachdenke. Das lag allerdings nicht an ihnen, sondern an mir. Sie haben mich so herzlich aufgenommen. Sofort und ohne zu zögern integriert. Dennoch wahrte ich immer eine gewisse Distanz, verbarg meine Sorgen und meine Ängste vor ihnen.
Andererseits, kann man es mir tatsächlich verübeln? Die einzigen Personen in meinem Leben, denen ich mein vollstes Vertrauen schenkte waren Tarik und Alastair. Seit Anbeginn habe ich meine wahren Gedanken und Gefühle immer geheim gehalten. Ich wollte meinen Eltern keine Sorgen bereiten. Ich wollte mein Leben in die eigenen Hände nehmen, wollte den Sieg erringen, Teil des schwarzen Rings werden, doch genau deshalb konnte ich nie ehrlich und offen sein.
Stets die Fassung wahren, die blinde und hilflose Tochter der Akelas spielen, Eliana in Schach halten, nie zu viel von sich preis geben.
Das war mein Alltag.
Das war mein Weg zum Ziel.
Doch was, wenn das nicht immer zu hundert Prozent richtig gewesen ist?
Was wenn es jetzt nicht mehr richtig ist?

Blind FireWhere stories live. Discover now