- Kapitel 107 -

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Die Feder in meiner Hand schwebt knapp über dem Blatt Papier, doch ich komme einfach nicht umher meine Gedanken in Worte zu verfassen. Es ist ein einziges Chaos. Tagsüber funktioniere ich, tue was mir gesagt wird, strenge mich an, lächle das ein oder andere Mal, doch tief in mir sieht es anders aus. Ich war noch nie eine Frohnatur gewesen, doch die derzeitige Situation überfordert mich einfach.
Fort von zu Hause.
Tarik, der ebenfalls fort ist.
Eliana, die mir seltsame Gedanken in den Kopf pflanzt und schließlich Alastair, dessen Zukunft ungewiss ist.
Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich tatsächlich völlig auf mich allein gestellt, wenn man es so betrachtet. Bislang hatte ich immer Tarik an meiner Seite. Ich wusste, ich konnte mit allem zu ihm kommen. Ich wusste, dass er mir helfen würde. In der Zwischenzeit gesellte sich Alastair hinzu. Auch er stellte für die Dauer des Duells einen Anker dar. Er war es, der mich zum Sieg geführt hat.
Ich werfe meinen Kopf in den Nacken und fahre mir grob über die Stirn. Ich dachte immer, ich würde das Gefühl des Alleinseins kennen.

Plötzlich reißt mich ein dumpfes Geräusch aus den Gedanken, weshalb ich alarmiert hochfahre. Mit konzentriertem Ausdruck auf dem Gesicht sehe ich mich prüfend um. Kam das Geräusch aus dem Flur? Ich schwenke meinen Blick dezent in Richtung der Tür, doch es fällt kein Lichtschein durch den Türspalt.
Kam es aus einem der anderen Zimmer? Möglich, doch es klang nicht so weit weg. Langsam lasse ich meinen Blick in Richtung meines Fensters gleiten. Regungslos stehe ich inmitten meines Zimmers und fokussiere die leuchtend gelben Augen, die mir undefinierbar entgegensehen. Anders als zuvor, starren sie mich nun allerdings aus nächster Nähe an. Die Kerze, die auf dem Schreibtisch steht wirft tanzende Schatten auf den Fensterrahmen und gibt immer wieder eine Silhouette preis, doch das Licht ist zu schwach, um genaueres zu erkennen. Ich schiebe meine Brauen zusammen und rücke mir Agira auf der Nase zurecht. Langsam komme ich dem Augenpaar näher. Nachdenklich beobachte ich das Wesen, doch es scheint nicht auf meine Bewegungen zu reagieren. Als ich nur noch wenige Zentimeter entfernt bin und auf das leuchtende Augenpaar hinabstarre verfolgt es mich mit seinem Blick. Minuten vergehen in denen sich weder das Wesen noch ich bewegen. Noch immer kann ich nicht erkennen, um was für eine Kreatur es sich handelt, weshalb ich langsam meine linke Hand hebe. Ich halte sie seitlich vor mich und lasse eine kleine Flamme über meiner Handfläche erscheinen. Das Augenpaar vor mir beginnt zu glitzern und spiegelt das Feuer wieder.
Im nächsten Moment gehen auch von dem kleinen Wesen vor mir Flammen aus. Sie umspielen seine spitzen, schwarzen Ohren und seinen orangefarbenen Schwanz. Mit offenem Mund starre ich auf die nun deutlich erkennbare Kreatur.
„Was..", hauche ich und hebe eine Braue dabei. Ich kenne jedes Tier, das sich auf dem Anwesen des Quartiers befindet, doch einen Feuerwuchs habe ich noch nie zuvor gesehen. Noch dazu, solch ein schönes Exemplar.
Vor Schreck weiten sich meine Augen, als mir ein Gedanke durch den Kopf schießt.
Hellion.
Er würde niemals zulassen, dass fremde Wesen oder Magier das Grundstück betreten. Plötzlich schiebt sich eine leuchtende Mähne aus weiter Entfernung in mein Blickfeld.
Wenn man vom Teufel spricht, denke ich und lösche augenblicklich meine Flamme. Wartend starre ich auf den Feuerfuchs und hoffe, dass auch er seine Flammen abebben lässt. Sekunden ziehen sich in die Länge, doch es geschieht nichts.
„Du musst deine Flammen löschen", zische ich aufgeregt und beuge mich ein Stück weit zu dem Tier herab. Der Fuchs hingegen sieht mich lediglich weiterhin undefinierbar an.
„Hör mal, das ist kein Spiel. Wenn Hellion dich erwischt war es das für dich", erkläre ich eindringlich und schlage mir gegen die Stirn.
Ich versuche gerade tatsächlich mit einem Fuchs zu sprechen. Habe ich denn völlig den Verstand verloren?
Die plötzliche Dunkelheit um mich herum lässt mich meinen Fokus erneut auf das Fenster richten. Das leuchtend gelbe Augenpaar starrt mir nach wie vor entgegen, während Hellion gemächlich seine Runde an der Nordseite des Gebäudes dreht. Er sieht mir für einen Moment entgegen, dreht seinen Körper in meine Richtung und neigt den Kopf, ehe er weitergeht. Auch ich senke respektvoll meinen Kopf und atme erleichtert aus, als er ohne jeglichen Verdacht um die nächste Ecke biegt.
Ich atme die angestaute Luft aus und werfe einen nachdenklichen Blick auf den kleinen Fuchs vor mir.
„Du solltest nicht hier sein. Es ist zu gefährlich für dich", murmle ich und wende mich ab.
„Geh zurück in die Wälder, dort bist du sicherer, als hier", füge ich hinzu und vollführe eine abtuende Handbewegung, während ich mich erneut an den Tisch setze.
Seufzend nehme ich die Feder wieder in die Hand und umspiele meine Nasenspitze mit dem flauschigen Ende. Dabei werde ich noch immer von dem gelben Augenpaar beobachtet. Ich schiele für einen Moment herüber und sehe, wie er eine Pfote auf das innenliegende Fensterbrett stellt. Unsere Blicke treffen sich erneut und lassen nicht voneinander ab, während er auch die zweite Pfote hinzuholt. Elegant sitzt er nun neben den dunkelgrünen Vorhängen und sieht mir wartend entgegen. Empört weiten sich meine Augen, während mir die Feder aus der Hand fällt. Füchse gelten generell als sehr scheue Wesen. Das scheint auf dieses Exemplar allerdings nicht zuzutreffen. Nun, eigentlich spielt es keine Rolle für mich, ob der Fuchs geht oder bleibt. Früher oder später wird er selbst sehen, was er davon hat. Seufzend konzentriere ich mich wieder auf das leere Blatt Papier.
„Wieso ist es nur so schwer einen Brief zu verfassen?!", murre ich und lasse mich erneut in den Stuhl zurück fallen. Mittlerweile hat mein Gast seine Position geändert und ist auf samtigen Pfoten an die Ecke des Tischs gewandert. Ich bilde mir ein einen schelmischen Glanz in seinen Augen zu erkennen, weshalb ich genervt mein Gesicht verziehe.
„Amüsiert dich meine Verzweiflung etwa?", frage ich provokant und schürze meine Lippen. Ein erneutes Seufzen entkommt mir, woraufhin ich mich ruckartig erhebe. Ich sollte einfach ins Bett gehen. Insgeheim frage ich mich wozu ich eigentlich noch in der Lage bin. Nicht einmal einen einfachen Brief kann ich schreiben. So zerstreut bin ich tatsächlich noch nie gewesen. Ich weiß einfach nichts mit mir anzufangen. Ich habe ein Ziel, eine Aufgabe. Ich sollte mich freuen das Duell für mich entschieden zu haben, stärker geworden zu sein, doch hier sitze ich nun und weiß nicht, wie ich meine Ziele erreichen soll. Ich lasse mich rückwärts in die Laken fallen und vernehme für einen kurzem Moment Alastairs Duft. So schnell wie er kam, so schnell verflüchtigt er sich auch wieder. Mit umherwandernden Gedanken drifte ich allmählich in den Schlaf und habe den Feuerfuchs dabei völlig vergessen.

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