- Kapitel 130 -

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Eliana POV

Eliana wälzt sich unruhig im Bett umher. Embers Gesichtsausdruck geht ihr einfach nicht aus dem Kopf. So verletzt und so betrübt hatte sie sie selten gesehen. Als sie den Händler am Kragen packte dachte sie schon, dass sein letztes Stündlein geschlagen hätte. Der Wahnsinn in ihren Augen ist kaum in Worte zu fassen. Scheinbar liegt ihr wirklich viel an diesem Flohzirkus. Nicht einmal ihre Angriffe haben Wirkung gezeigt. Wenn sie kein Machtwort gesprochen hätte, welches jedes Mitglied der Familie in die Knie zwingt, hätte sie den Alten wohl in Stücke gerissen.
Und das alles nur wegen eines Fuchses?!
Sie kann einfach nicht nachvollziehen weshalb Ember so aufgebracht ist. Sie tut ja fast so, als würde es um ihr eigenes Leben gehen.
Seufzend dreht sie sich auf die andere Seite.
Sicher, es war ihr Plan ihre Schwester zu verletzen, doch als sie nicht einmal Halt gemacht hat, als sie sich vor den Alten stellte bringt sie zum Nachdenken. Sie ertrug sogar ihre Blitzhagelangriffe ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Eliana hat das teuflische Grinsen ihrer Schwester noch immer vor Augen.
Ember handelt keineswegs unbedacht. Sie wägt ihre Entscheidungen stets ab. Dass sie nun so drastisch reagieren würde, hatte sie nicht gedacht. Der Schmerz ist ihr quasi quer übers Gesicht geschrieben gewesen. Wenn das so weiter geht verliert sie bald wirklich noch den Verstand. Wer weiß wie weit sie gehen würde.
Genervt wirft sie ihr Kissen an die Wand und unterdrückt das ungute Gefühl in ihrer Magengrube.
„Wieso mache ich mir überhaupt Gedanken darüber?", entkommt es ihr trotzig, ehe sie sich aufrichtet. Sie fasst sich genervt an die Stirn und seufzt ergeben. Ember hätte niemals so reagiert wenn es um sie gegangen wäre, schießt es ihr durch den Kopf. Ember wäre es völlig egal gewesen wenn ihre Mutter, ihr Vater oder sie verschwunden wären, doch um diesen Fuchs macht sie sich solche Gedanken. Das ist doch lächerlich!
Augenblicklich überkommt sie eine Welle des schlechten Gewissens, da sie weiß, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Nein, sie hätte vermutlich genauso reagiert, wenn es um Mutter oder Vater ginge, korrigiert sie ihre Gedanken und seufzt erneut.
Einerseits kann sie es durchaus nachvollziehen. Wieso sollte Ember auch nur einen Funken Energie in ihre Rettung investieren, nach all dem was geschehen ist. Nach allem, was Eliana ihr angetan hat.
Dennoch kann sie nicht länger untätig dabei zusehen, wie ihre Schwester die Stadt auseinander nimmt. Sie muss etwas tun. Nie hätte sie gedacht, dass das alles eine solche Wendung nimmt. Sie wollte doch lediglich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Mitten in der Nacht stapft Eliana also durch den Wald und steuert dabei eine alte Scheune an. Der Händler meinte damals, dass er seine Waren dort aufbewahren würde, weshalb sie die Hoffnung hat, den Fuchs zwischen dem ganzen anderen Krempel dort zu finden. Sie würde sich einfach eine Ausrede einfallen lassen. Er sei tatsächlich nur entlaufen und wäre am Morgen vor Elianas Zimmerfenster gestanden. Auch wenn es nicht sonderlich glaubhaft klingen mag, wer sollte das schon in Frage stellen? Ember wird sicherlich überglücklich wieder abreisen und die Sache ruhen lassen, denkt sie.
Eliana hält inne und seufzt.
Wieso hatte sie das getan?
Der Fuchs hatte ihr doch keinen Schaden zugefügt. Er konnte praktisch nichts dafür. Es war einzig und allein Elianas Hass auf Ember, der sie dazu brachte. Auch ihr Gedanke die zukünftigen Handelsvorteile betreffend dienten nur als Deckmantel. Eigentlich weiß sie, dass sie es nicht deshalb tat. Sie tat es, um Ember zu verletzen.
Die Energiemagierin schlägt sich gegen die Stirn und schüttelt den Kopf. So sehr sie ihre Schwester auch hasste, so muss sie zugeben, dass sie das Duell der magischen Künste fair gewonnen hat. Das war ihr schon länger bewusst, doch sie konnte sich nicht helfen. All die Jahre über genoss Ember die Vorzüge und Extrabehandlungen ihrer Eltern und das, obwohl sie nicht einmal das leibliche Kind ihrer Eltern war. Ember ist nicht ihre Schwester und würde es auch nie werden können, das redete sie sich zumindest immer ein. Sie verstand einfach nicht, wieso sie nicht ausreichte. Wieso mussten ihre Eltern unbedingt ein Kind aus der Gosse aufnehmen?
Wütend stampft sie auf und entlädt ihre Wut in Form von Blitzen.
War sie ihnen nicht stark genug? Nicht süß genug? Was war es, dass Ember hatte und sie nicht?
Diese Frage quält sie schon seit sie ein Gespräch ihrer Eltern belauschte. Zufällig kam es ihr zu Ohren, doch sie behielt es für sich. Keiner Menschenseele hatte sie es erzählt. Als kleines Kind im Alter von etwa zehn Jahren erkennt man die Tragweite dieser Aussage kaum. Alles, was sie wusste war, dass Ember nicht ihre Schwester ist. Dennoch wurde sie stets so behandelt. Immer wurde sie bevorzugt. All die Zeit über sollte Eliana sich ihrer Rolle als große Schwester bewusst sein, auf Ember achtgeben.
Der Neid war und ist noch immer unermesslich. Sie selbst kann nichts dafür, redete sie sich ein. Jedes Mal wenn sie Embers Gesicht sieht brennen bei ihr die Sicherungen durch. Egal wie oft sie sich vornahm netter zu Ember zu sein, es scheiterte jedes Mal kläglich. Natürlich weiß sie, dass auch Ember nichts für die Umstände kann, doch es war einfach eine viel zu große Genugtuung sie leiden zu sehen. Wahrscheinlich war es auch dieses Mal nicht anders. Wahrscheinlich trieb sie auch jetzt der Neid zu dieser Tat, schießt es ihr durch den Kopf. „Ich bin wirklich erbärmlich..", flüstert sie und schüttelt den Kopf dabei. Wenn sie zurückdachte, hatte Ember sie immer gut behandelt. Jedes Mal wenn sie sich aus dem Haus schlich, um ihre Freunde zu treffen, obwohl sie Hausarrest hatte, jedes Mal wenn sie sich ins Arbeitszimmer ihres Vaters schlich, jedes Mal wenn sie vorgaugelte krank zu sein nur um nicht an diesen langweiligen Debütanten Bällen teilnehmen zu müssen hatte Ember sie gedeckt. Selbst während des Duells hielt sie sich zurück, als sie ihr gegenüberstand. Sie hat dafür gesorgt, dass sie ihre Kräfte beibehält..sie hat sich für sie eingesetzt, als sie nach dem Duell die Nerven verloren hat und Embers Artefakt zerstört hat. Ember war ihr all die Zeit über eine gute Schwester gewesen, anders als sie.
Zähneknirschend senkt sie den Blick und ballt ihre Hände zu Fäusten.
Wieso konnte sie ihren Groll nicht endlich beiseiteschieben und Ember anerkennen?
Sie ist eine großartige Magierin. Weitaus fähiger, als sie es je sein könnte. Sie hat den Platz im Schwarzen Ring verdient, mehr als alles andere.
Wieso also?
Wieso fällt es ihr so schwer Ember aufrichtig entgegenzutreten? Ihr zu sagen, was ihr auf der Seele brennt? Ihr zu sagen, was sie von ihr denkt? Was sie wirklich von ihr denkt?
„Ich habe definitiv noch einen weiten Weg vor mir..und er beginnt damit mich zu entschuldigen. Doch zunächst muss ich Setto zurückholen", murmelt sie und kommt vor der besagten Scheune zum Stehen. Eilig schleicht sie zum Eingang der morschen Scheune und drückt ihre Schulter gegen die Tore. Sie müssen von innen verschlossen sein, denkt sie und richtet ihr Zepter auf das Schloss, welches im nächsten Moment zu Staub zerfällt. Auf leisen Sohlen schleicht sie hinein und lehnt die Tore an. Mit zusammengekniffenen Augen sieht sie sich um und versucht den Fuchs ausfindig zu machen. Staunend hebt sie ihre Brauen, als sie die vielen Waren sieht. Schockiert führt sie ihre Hand an den Mund, als sie die Käfige entdeckt. Sie kann die Wesen gar nicht zählen, die auf engstem Raum zusammengepfercht hinter den Gitterstäben sitzen. Ihr bleibt die Spucke weg, als sie in die leeren Augen der Tiere blickt. „Um Himmels Willen..", entkommt es ihr empört. Sie ist bei weitem nicht der größte Tierfreund, doch..allein der sich bietende Anblick zieht ihr metaphorisch gesprochen den Boden unter den Füßen weg.
Und das habe ich Setto zugemutet, denkt sie sich schuldbewusst und beschleunigt ihre Schritte. „Setto! Bist du hier irgendwo? Setto!", ruft sie ratlos und versucht ihn irgendwie ausfindig zu machen, doch alles was sie sieht, sind glühende Augen. Die Farben rot, grün und gelb starren ihr entgegen. Anders als bei Setto strahlen sie nicht so hell. Nur ein dumpfes Licht ist in den Pupillen zu erkennen. Fast so, als hätten diese Wesen bereits aufgegeben. Es ist kaum noch Leben in den Augen der Tiere zu erkennen. Eliana spürt, wie sich ihr Herz zusammenzieht.
All diese Wesen..all diese Tiere..sie leiden. Das kann selbst ein so skrupelloser Mensch wie sie erkennen. Betroffen verzieht sie ihr Gesicht. Sie kann nicht fassen, dass der Händler für all das Leid hier verantwortlich ist. „Setto! Komm schon..ich will dich nach Hause holen! Willst du Ember denn nicht wieder sehen?", versucht sie es anders, doch wieder bekommt sie keine Reaktion. Vielleicht kann er sich nicht bemerkbar machen, schießt es ihr durch den Kopf. Entschlossen ballt sie ihre Fäuste und schwingt ihr Zepter. „Keine Sorge..ich werde dich finden! Halte noch ein bisschen länger durch", meint sie und richtet ihre Blitzkugel auf das Schloss des ersten Käfigs zu ihrer Rechten. Die Tiere stürmen ihr entgegen und überrennen sie beinahe. Schützend hält sie ihre Hände vor sich und versucht der Masse standzuhalten. „Setto? Setto!", ruft sie erneut und versucht die lauten, trampelnden Schritte der aufgeregten Tiere zu übertönen. Die Scheune verfällt in ein einziges Chaos.
So wird sie Setto nie finden.
Seufzend richtet sie ihr Zepter in die Luft und erschafft mithilfe ihrer Energiemagie einen neuen Käfig. „Bitte..so beruhigt euch! Ich suche einen Fuchs..sein Name ist Setto. Habt ihr ihn gesehen? Bitte..ich verspreche euch freizulassen sobald ich ihn gefunden habe", richtet sie ihr Wort an die magischen Wesen, die sich erneut hinter Gittern befinden. „Bitte..helft mir..", entkommt es ihr verzweifelt. Die Laute der Wesen verstummen und sie richten ihre Blicke auf die Magierin. „Ich lasse euch frei, ich verspreche es euch, doch zuerst muss ich Setto finden", versichert sie ihnen erneut. Dabei ignoriert sie die Tatsache, dass sie gerade mit wilden Tieren spricht. Der nächste Käfig wird geöffnet und das gleiche Spiel wiederholt sich. Auch dieses Mal kann sie den Fuchs nirgends entdecken. Auch nach etlichen weiteren Versuchen ist Setto nach wie vor verschwunden. Eliana lässt betrübt ihre Schultern sacken. „Wo bist du nur..wo hat er dich nur hingebracht? Hat er dich wirklich schon verkauft?", murmelt sie verzweifelt.
Als sie auch den letzten Käfig öffnet und noch immer keine Spur von Setto zu sehen ist sackt sie auf den Boden. „Nein..nein! Das kann nicht sein..er muss hier sein!", entkommt es ihr aufgebracht, während die magischen Wesen wild umher rennen. Seufzend erschafft sie einen weiteren Käfig und bringt ein wenig Kontrolle ins Chaos. Mitleidig starrt sie auf die Wesen vor sich. „So viele..ihr seid so viele..ich kann euch doch nicht einfach in die Wälder rennen lassen..", murmelt sie und fährt sich übers Gesicht. „Einige von euch sind nicht geschaffen für diese Temperaturen..ihr würdet sterben..", fügt sie hinzu und läuft nachdenklich auf und ab. „Es hilft nichts..ich werde zumindest diejenigen von euch mit mir nehmen, die hier nicht überleben könnten", seufzt sie und kann sich bereits die Gesichter ihrer Eltern ausmalen. Als sie jedoch einen erneuten Blick auf die Wesen wirft springt ihr ein recht mager wirkender schwarzer Schattenpanther ins Auge und ihr Ausdruck wird weicher. „Was hat er euch nur angetan..", haucht sie und legt dem schwarzen Wesen ihre Hand auf die Stirn. Das Fell schimmert und fühlt sich weicher an, als jedes ihrer Samtkleider. Ein lautes Schnurren erklingt, während er die Augen schließt. „Ich werde ihn hierfür zur Verantwortung ziehen, das schwöre ich. Er wird niemals wieder solche Gräueltaten begehen können. Und wenn ich ihm dafür alles nehmen muss, was er besitzt", fügt sie entschlossen hinzu und tritt die Scheunentür schwungvoll auf. „Ihr werdet vorerst bei mir unterkommen", erklärt sie und lässt die Käfige magisch hinter sich herschweben. Anschließend dreht sie sich erneut zur Scheune und schiebt die Brauen zusammen. „Unverzeihlich..", murrt sie und schnippt mit den Fingern. Augenblicklich hagelt es Blitze zusammen mit Schneeflocken vom Himmel herab. Die Scheune fängt Feuer und brennt lichterloh. Eliana jedoch denkt gar nicht daran das Feuer zu löschen. Stattdessen bringt sie die magischen Wesen in Sicherheit und schreitet mit ausdruckslosem Gesicht voran. Der Wind zieht scharf an ihr vorbei und weht ihr die weißen Flocken ins Gesicht. Ihre blauen Augen fixieren den Trampelpfad vor sich und sind energiegeladen.
Niemals wieder wird sie so etwas zulassen. Niemals wieder wird auch nur ein Tier unter ihrer Herrschaft leiden.
Niemals wieder.
„Halte durch, Setto. Ich komme um dich zurückzuholen, koste es was es wolle", haucht sie gegen den Wind, während ihr die Worte ihrer Schwester in Gedanken wiederhallen.

Blind FireWhere stories live. Discover now