- Kapitel 78 -

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Da ich nun das erste Problem gelöst habe widme ich mich dem zweiten Schritt. Wenn ich weiß wo sich mein Gegner befindet darf ich nicht lange zögern. Ich muss es schaffen meine neu erlangte Kraft innerhalb von wenigen Sekundenbruchteilen freizusetzen.
Wenn ich das geschafft habe muss ich lange genug durchhalten, um ihn soweit zu schwächen, das ein einziger Angriff ihn erledigt.
Doch, was wenn ich das nicht durchhalte?
Wenn meine Kraft sich dem Ende zu neigt bevor er geschwächt genug ist?
Aufgrund meiner neugewonnen Fähigkeit den magischen Fluss meiner Gegner zu sehen kann ich mitverfolgen, wann seine Kraft den absoluten Nullpunkt erreicht. Nämlich dann, wenn kein magischer Fluss mehr zu sehen ist.
Wie lange wird das wohl dauern?
Bin ich in der Lage dazu meine Kraft lange genug anzuwenden?
Sollte ich es tatsächlich nicht schaffen, so kann ich auf die Kraft des Mondsteins meiner Uniform zurückgreifen, doch auch er spendet nicht auf Dauer Energie. Ich muss also selbst so lange wie möglich durchhalten und darauf hoffen, dass der Stein für die restliche Zeit zur Überbrückung ausreicht. Doch bis zu diesem Punkt des Plans zu gelangen ist nur die halbe Miete. Wenn ich es bis dorthin geschafft habe muss ich trotzdem noch in der Lage dazu sein einen Zauber der Magiestufe sechs oder höher zu wirken. Wenn man bedenkt, dass der Kraftaufwand bis zu diesem Punkt schon so enorm hoch ist, dass ich nahezu meine kompletten Kraftreserven aufbrauchen muss, wird es spätestens ab hier äußerst kritisch.
Abgesehen davon, selbst wenn ich es tatsächlich schaffen würde, wer sagt, dass der Angriff ausreicht? Was wenn nicht?
Sobald mein Angriff vorbei ist herrscht erneut totale Finsternis im Raum. Innerhalb weniger Minuten wäre die Projektion wieder bei Kräften und könnte mich mit nur einer Ohrfeige zu Fall bringen.
Ein niedergeschlagenes Lächeln ziert meine Lippen während ich den Blick zur Seite richte.
Doch was wenn es funktioniert?
Ich hätte das Duell für mich entschieden. Ich würde als Siegerin hervorgehen. Ich hätte all das erreicht wofür ich Jahre lang so hart trainiert habe. Ich würde voller Stolz nach Hause zurückkehren, Meister Tarik in die Arme springen und ihm von meinem glorreichen Sieg berichten. Eliana hätte ich ein für alle Mal das Maul gestopft, genauso wie all den anderen, die sich bereits seit je her schamlos über mich lustig machten. Ich hätte einen Platz in General Levion Sorins Trupp und wäre von da an Teil des schwarzen Rings. Ich würde der königlichen Familie dienen, dem Schutz des Reiches! Eine größere Ehre kann einem in diesem Leben nicht zuteilwerden.
Wieso also fühlt es sich nicht so zufriedenstellend an mit diesen Gedanken in den Kampf zu ziehen? Wieso zögere ich noch immer den Hohlraum zu betreten?
Wieso ängstigt es mich noch immer so sehr zu versagen?
Natürlich war mir von vornherein bewusst gewesen, dass die dritte und letzte Etappe mitunter die größte Herausforderung darstellen würde. Selbstverständlich war mir klar, dass sie mich alles an Kraft kosten würde und mir mein gesamtes Wissen abverlangen würde.
Bin ich nicht zu allem entschlossen gewesen?
War ich nicht bereit dazu glorreich zu siegen oder dafür zu sterben?
Doch, das war ich.
Irgendetwas hat sich aber verändert.
Etwas hat mich verändert.
Seufzend lasse ich mich entlang der Felswand hinab gleiten. Wütend schlage ich mir die Hände an den Kopf und unterdrücke einen aufkommenden Schrei. „Wieso!? Wieso, wieso, wieso, wieso!?", zische ich gleichermaßen wutentbrannt sowie verzweifelt. Erinnerungen an Kairyan und Arryn, Kion und Arsu, die Attentäter, die Feuerfontäne und schließlich Alastair schießen mir durch den Kopf. Ich erinnere mich an die erste Begegnung mit Kairyan und Arryn vor den Toren des Hauptquartiers. Ich denke an die erste Etappe zurück, an all die Widrigkeiten denen ich mich dort schon stellen musste. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich Alastair gegenüberstand. Wie er vor Kraft, Anmut und Selbstbewusstsein strotzte. Ich denke an die zweite Etappe, bei deren Prüfungen ich Kion über den Weg lief. Ich weiß noch, wie fasziniert ich von seinem Scharfsinn war. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass wir beide uns gut verstehen würde. Ein kleines Grinsen schleicht sich bei den Gedanken an die Geschehnisse auf meine Lippen, doch so schnell wie es kam verschwand es auch wieder.
Die Attentäter.
Mit gesenktem Blick starre ich auf den Boden, während ich mir die Bilder des endlosen Chaos in Erinnerung rufe. Mein Magen zieht sich noch immer schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken daran, dass ich Kairyan und Arryn beinahe hätte sterben lassen, dass ich sie beinahe verloren hätte.
Wütend balle ich meine Hände zu Fäusten bei den nächsten Erinnerungsfetzen. Sie zeigen Alastair im Griff der Ordensmitglieder. Ich konnte nichts weiter tun, als dabei zuzusehen, wie sie ihn abführten. General Sekurions Worte hallen mir noch immer nach.
Wie konnte er das alles nur geschehen lassen?
Wieso musste das alles so passieren?!
Ein Gefühl der Bitterkeit überkommt mich, als ich realisiere, dass nichts von alle dem geschehen wäre, wenn ich nicht unbedingt teil des schwarzen Rings hätte werden wollen. Wenn ich mich einfach nie für das Duell angemeldet hätte. Wenn ich einfach zu Hause geblieben wäre und mein jämmerliches Leben nach besten Möglichkeiten ausgeschöpft hätte.
An was hätte es mir denn schon gefehlt?
Ich hatte einfach alles, doch ich war zu egoistisch gewesen, habe immer nur an mich selbst und meine eigenen Vorteile gedacht. Ich bin der Auslöser dieser ganzen Misere. Es ist meine Schuld, dass Alastair nun im Kerker sitzt, dass Kairyan und Arryn verletzt wurden und Levion sich nun um mich kümmern muss, wo er doch noch nie einen Bindungspartner hatte.
Ich atme die angestaute Luft aus, doch dieses beklemmende Gefühl in mir lässt nicht nach. Ich fühle die Last der Schuld nun mit voller Wucht auf mich hereinprasseln. Mein Leben lang sah ich mich immer in der Rolle des Opfers. Nie hatte ich auch nur einen Gedanken daran verschwendet meinen Blickwinkel zu ändern, die Schuld nicht immer nur bei anderen zu suchen. Es ist wahr, dass mir bei meiner Geburt ein großer Nachteil zuteilwurde und ich diese Bürde mein Leben lang tragen müsste, doch anstatt mich selbst zu bemitleiden und die Augen vor allem zu verschließen, was mich in irgendeiner Weise von dieser Einstellung abgebracht hätte war falsch gewesen.
Es ist nichts falsch daran für sich und seine Wünsche zu kämpfen, sich dabei von Menschen helfen zu lassen, die einem wichtig sind solange man sich selbst nicht immer über alles andere stellt. Es ist wichtig Träume zu haben und an deren Erreichung zu arbeiten, doch man sollte ebenfalls nicht wegsehen, sollten andere einmal Hilfe brauchen. Man sollte nicht so egoistisch sein und alles und jeden nur für seine Vorteile ausnutzen.
Irrwitzig verziehe ich meine Lippen zu einem Grinsen.
Wie unfassbar dumm ich doch gewesen war, dabei hatte ich gedacht, dass ich weit über den anderen meines Alters stehe.

Blind FireWhere stories live. Discover now