- Kapitel 184 -

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In Anbetracht der Situation und dem Ernst der Lage wird je nachdem wie ich mich entscheide jemand sterben.
Allein bei dem Gedanken fährt es mir kalt den Rücken entlang.
Hat er das etwa all die Zeit über gewusst?
Hat er sich deshalb die letzten Monate vom Anwesen ferngehalten?
Hat er getrauert?
Für den Fall, dass ich mich gegen Salem entscheiden würde?
„Das kann nicht wahr sein..", hauche ich und starre abwesend auf meine Hände.
Wie sollte ich solch eine Entscheidung treffen können?
Wie sollte ich das mit mir vereinbaren können? Entweder Salem verliert sein Leben oder Sekurion?
Das ist nicht fair!
Ich sollte solch eine Entscheidung nicht treffen müssen! Ich kann das nicht!
„Nein ich kann das nicht..", hauche ich und raufe mir hysterisch durch die Haare. „Hellion! Sag mir, dass das nicht wahr ist! Dass du etwas anderes meintest! Irgendetwas..anderes", brülle ich aus vollen Lungen und starre in den von Qualm bedeckten Himmel.
Stille Tränen rinnen mir die Wangen entlang, als sich der Nebel lichtet.
Ein strahlendes Licht blendet mich, weshalb ich die Augen zusammenkneife.
„Was..", hauche ich und sehe in der Ferne die stattliche Flammenmähne des Feuerlöwen majestätisch auf mich zukommen.
„Ember Akela, es ist lange her", richtet er sein Wort an mich während ich mir ein Japsen unterdrücken muss.
„Es freut mich, dass es dir in den letzten Wochen gut ergangen ist. Auch wenn ich wusste, dass jegliche Sorge unbegründet war", fügt er hinzu und setzt sich direkt vor mich.
„Wie soll ich mich entscheiden? Was soll ich tun?", schreie ich wutentbrannt ohne auf seine warme Begrüßung einzugehen und balle die Hände zu Fäusten.
„Nun..ich sagte dir bereits, dass die Entscheidung ganz bei dir liegt. Niemand anderes als du kann diese schwierige Entscheidung treffen", entgegnet der prachtvolle Feuerlöwe ihr und leckt sich die Pfote.
„Salem oder Sekurion? Soll das ein schlechter Scherz sein? Wie sollte ich denn die richtige Entscheidung treffen können?", blaffe ich und weiß nicht wohin mit mir. „Salem hat mir so vieles beigebracht! Er war stets an meiner Seite! Er war..er war wie ein großer Bruder für mich! Er ist..meine Familie..", schluchze ich.
„General Sekurion hat seine Hand für mich ins Feuer gelegt! Er hat mich unterstützt bei allem, was ich tat. Er hat mir sogar dabei geholfen Setto wiederzufinden! Viel mehr noch..er hat mir sein Vertrauen geschenkt..mich zu seiner vertretenden rechten Hand ernannt..wie könnte ich ihn nun verraten?", brülle ich und falle erneut auf die Knie. Wutentbrannt schlage ich mit den Fäusten auf den gleißend weißen Boden dieses seltsamen Ortes.
„Sie sind doch alle meine..sie sind alle meine Familie..meine Kameraden..", hauche ich verzweifelt und kann nicht fassen, dass mein Schicksal mich tatsächlich so sehr hasst.
„Das was du momentan siehst ist nicht mehr, als Schwarz und Weiß", entgegnet Hellion nach einer Weile der Stille. „Du solltest jedoch am besten wissen, dass es nicht nur diese beiden Farben gibt. Du, die ihr halbes Leben lang in Dunkelheit verbracht hat sollte die Farbenpracht der Welt zu schätzen wissen", fährt er fort, was mich wütend das Gesicht verziehen lässt. „Ember, es gibt noch so viel mehr zwischen Schwarz und Weiß. Ich sagte nicht, dass du dich nur zwischen zwei der Farben entscheiden kannst. Dir steht das gesamte Farbspektrum zur Verfügung", erklärt er, woraufhin ich meine Augen weite.
„Willst du damit sagen, dass es einen Weg gibt, wie ich alle retten kann?", hauche ich schockiert und sehe ihm mit wässrigen Augen entgegen. „Das Leben ist voll von unvorhergesehenen Wendungen. Unerwarteten Tatsachen und beeinflussbaren Möglichkeiten. Ich sage nicht, dass deine Möglichkeiten unbegrenzt sind, doch..aufgrund des Weges dem du bisher gefolgt bist eröffnen sich dir einige Auswege..einige Umwege..Abkürzungen..Brücken..", entgegnet er, während ich auf die Beine springe.
„Welchen Weg muss ich wählen? Was soll ich tun? Bitte sag es mir Hellion..ich will niemanden verlieren..", flehe ich ihn an, ehe er den Kopf zur Seite dreht.
„Das kann ich dir nicht sagen..ich kann dir nur sagen, dass der Weg, der dir am meisten abverlangt der ist, den du begehrst", erklärt er und verschwindet mit diesen Worten.

Der altbekannte Qualm schleicht sich erneut in mein Sichtfeld, weshalb ich ernüchtert auf den Pflastersteinboden starre.
„Ich weiß nicht welcher Weg mir am meisten abverlangt..beide Wege scheinen direkt in die Hölle zu führen", hauche ich kraftlos und schiele zu Setto, der allmählich sein Limit erreicht hat. „Setto..", hauche ich und kann nicht fassen, dass ich ihn solch einer Gefahr aussetze. Und das nachdem ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt habe um ihn unbeschadet wieder zu finden.
Was soll ich nur tun?
Beide Magier sehen mir aus den Magiekugeln erwartungsvoll entgegen. Scheinen darauf zu hoffen, dass ich schon eine Möglichkeit finden würde..einen Weg auswählen könnte..doch wie sollte ich das nur übers Herz bringen? Herannahende Schritte lenken meine Aufmerksamkeit hinter mich. Mit stechendem Blick wende ich den Kopf und sehe Nathaniel rußverschmiert aus dem Qualm auf mich zurennen.
Meine Augen weiten sich bei diesem Anblick. Sollte nun auch noch Nathaniel auf mich zielen wäre das mein Ende.
Ich kann nicht mehr.
Ich will nicht mehr.
Dieses Leben war von vornherein verkorkst. Vielleicht bekomme ich im nächsten Leben eine faire Chance, denke ich und sehe mit Tränen in den Augen in den Himmel.

Neben Nathaniels Stiefeln erklingt auch das bekannte Rascheln von Kettenschwertern begleitet von mädchenhaften Schritten.
Sie sind also zu dritt gekommen..dieses Mal werden sie mich besiegen..mich töten.
Vielleicht hätte es schon lange vorher enden müssen. Vielleicht hätte ich an jenem Tag sterben sollen.
Wer weiß, vielleicht wäre dann alles anders gekommen?
So vieles habe ich noch nicht erreicht. So vieles wollte ich ändern.
„Eliana..ich wollte mich doch noch mit dir vertragen", wimmere ich und lasse meinen Oberkörper kraftlos nach vorn fallen. Es gibt nur eine begrenzte Menge an Schicksalsschlägen, die ein Mensch verkraften kann. Das hatte Tarik mir einst gesagt. Sobald diese Grenze überschritten wird ist es aussichtslos völlig egal wie stark man auch sein mag. Wenn der Geist bricht dann bricht auch der magische Kern des Magiers. Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Punkt nun allmählich erreicht habe. Meine Schwester..mein Bruder..ihr Verrat schmerzt. Die Hilflosigkeit der Situation..die Entscheidung zwischen Familie und Königreich..zwischen Vergangenheit und Zukunft..das alles ist einfach zu viel.
Es ist genug.
Mein Sichtfeld verschwimmt vor mir. Alles was ich sehe ist Setto, der sich an mich schmiegt und verzweifelt versucht mich zu stützen.
„Verdammt Nathaniel!", vernehme ich die beißende Stimme des Feuermagiers mit den Kettenschwertern.
„Nörgel nicht! Häng dich rein!", ruft nun das Mädchen, ehe ein wahres Meer an Flammen an mir vorbeisaust. Der Aufwind lässt meine Tränen trocknen und meine Haare in der von Asche gefüllten Brise unkontrolliert umherwirbeln. „Setto..es tut mir so leid..ich hätte dich gern in voller Größe gesehen..", hauche ich und streiche ihm sanft über den Rücken. Plötzlich sehe ich zwei paar braune Stiefel vor mir, ehe mir eine Hand auf die Schulter gelegt wird.
„Ember", höre ich Nathaniels Stimme.
„Bist du hier um es zu beenden?", hauche ich kraftlos und hebe meinen Blick. Sein Gesicht ist von Schock gezeichnet.
„Ja, das bin ich", entgegnet mein Bruder mir, weshalb ich wissend die Augen schließe. „Bitte..verschone wenigstens meinen Feuerfuchs..er ist noch ein Jungtier..er kann seine wahre Kraft noch entwickeln", flehe ich ausdruckslos während mir erneut stille Tränen über die Wangen laufen.
„Ich bin hier um diesen sinnlosen Krieg zu beenden", meint der Braunhaarige, der den gleichen rötlichen Schimmer trägt, wie ich selbst. „Ich bin hier..bereit zu kämpfen..um meine Schwester zu retten", fügt er hinzu, woraufhin ich ihm ungläubig entgegensehe. „Ich bin hier um dich zu beschützen, weil es genau das ist, was große Brüder für ihre kleinen Schwestern tun", hallen seine Worte in meinen Ohren während ich nicht anders kann als ihn wortlos anzustarren. „Kenny, mehr Dampf!", höre ich die Feuermagierin brüllen, während sie die Barriere weiter aufrecht erhalten.
„Ihr..aber ihr..", stammle ich verständnislos. „Wir waren Feinde", grätscht Nathaniel dazwischen. „Doch ich kann nicht zulassen, dass auch der letzte Rest meiner Familie verschwindet. Auch wenn ich den Großteil deines Lebens nicht an deiner Seite war bin ich dein Bruder. Nichts auf dieser Welt kann dieses Band zwischen uns trennen. Weder ein Krieg zwischen unseren Reichen noch ein sinnloser Streit. Ich habe dich auf den Armen gehalten, als du noch klein warst. Ich habe dir ein Versprechen gegeben..selbst wenn unsere Wege sich getrennt haben..selbst wenn du dich nicht daran erinnern kannst..ich erinnere mich daran. Damlas war ich nicht stark genug um dich zu beschützen..unsere Eltern daran zu hindern dich wegzugeben, doch..heute ist das anders. Heute kannst du dich auf mich verlassen. Sag mir was ich tun soll und ich tue es", offenbart er mir, woraufhin ich ihn mit weiten Augen mustere.
Wie könnte ich ihm vertrauen?
Er hat versucht mich zu töten!
Er hat Alastair in den Kerker gebracht nur um sein eigenes Leben zu schützen. Er hat sogar seine Kameraden verraten und ist einfach ohne sie abgehauen.
Wie könnte ich so jemandem auch nur ein Wort glauben?
„Wir waren genauso überrumpelt wie du, das kannst du uns glauben", erklingt Kennys Stimme neben mir, der seine Magie konzentriert wirkt. „Doch egal was auch zwischen uns geschehen sein mag..", fügt er leise hinzu, ehe das Mädchen übernimmt. „..Wenn Nathaniel seine Familie beschützen möchte helfen wir ihm dabei!", beendet sie Kennys angefangenen Satz, woraufhin ich die beiden überrascht beäuge.
Sie haben ihm verziehen?
Vertrauen ihm noch immer, obwohl er sie im Stich gelassen hat?
„Ich weiß wir sind wohl die Letzten, deren Hilfe du annehmen willst, doch..", wirft Kenny erneut ein.
„Nathaniel ist alles, was wir noch haben! Wir haben nur uns drei!", brüllt Kiana, was Kenny wütend zischen lässt.
„Kannst du mich mal ausreden lassen?!", blafft er, weshalb ich eine Braue hebe. „Was ich sagen wollte..Kiana hat recht. Es gab seit Jahren nur uns drei. Als Nathaniel uns die Wahrheit über seine Verbindung zu dir erzählt hat stand unser Entschluss fest. Wer zu Nathaniels Familie gehört, der gehört auch zu unserer Familie", stammelt er nachdenklich, da er nach den richtigen Worten sucht.
„Es tut uns leid! Alles, was geschehen ist..lass es uns wieder gut machen! Lass uns helfen!", brüllt er und intensiviert seine Magie. Ungläubig sehe ich zwischen den dreien her.
„Ich..", hauche ich und erinnere mich an Hellions Worte.
„..ich kann dir nur sagen, dass der Weg, der dir am meisten abverlangt der ist, den du begehrst" Der Weg, der mir am meisten abverlangt? Das wäre wohl tatsächlich dieser hier..

Blind FireWhere stories live. Discover now