- Kapitel 49 -

2.9K 223 8
                                    

Schon wieder hatte nur ein wenig gefehlt. Ich muss noch länger warten, ehe ich ausweiche.
Seit mehreren Minuten versuche ich nun schon die Angriffe taktisch so zu lenken, dass sie mit voller Kraft gegen die Barriere prallen – erfolglos, wie man unschwer erkennen kann.
Ich weiche zu schnell aus.
Wieso kann ich meinen Körper nicht dazu bringen noch eine Sekunde länger zu warten? Wieso nur? Hänge ich tatsächlich so sehr an meinem verkorksten Leben?
Schwer vorstellbar, doch genauso muss es wohl sein. Jedes Mal wenn ich dem Tod direkt in die Augen sehe reagiert mein Körper völlig automatisch. Meine Muskeln bewegen sich von allein und versauen mir dadurch meinen gut durchdachten Plan.
Kann man das nicht irgendwie abschalten?!
Frage ich mich genervt, während ich mich erneut direkt auf dem Präsentierteller positioniere.
Ich muss es schaffen. Nur ein einziger Treffer reicht aus, um die Barriere zu zerstören.
Komm schon, reiß dich zusammen!
Motiviere ich mich selbst und sehe einen gewaltigen Feuerball auf mich zufliegen. Er ist mindestens doppelt so groß, wie ich selbst. Seine glühende Hitze ist bis hier her zu spüren. Wer auch immer mich angreift, er muss wahnsinnig stark sein..und wahnsinnig wütend.

Das ist meine Chance. Dieser Angriff ist mehr als stark genug um die Barriere zu zerstören.
„Ember, halte durch. Wir sind auf dem Weg zurück in den Teleportationsraum!", vernehme ich Kalens Stimme, während ich reglos vor der Barriere stehe. Mit einem Grinsen senke ich den Blick.
Ich befehle Agira sich zurückzuziehen. Ich weiß es ist riskant, doch meine Kraft neigt sich dem Ende zu. Ich muss das hier und jetzt beenden. Viele Möglichkeiten habe ich nicht mehr. Das Einzige, was ich noch versuchen kann ist einfach nicht hinzusehen. Vielleicht schaffe ich es auf diese Art und Weise lange genug auszuharren.
Es wird Zeit meine Instinkte zu benutzen. Genauso, wie früher.

Der Feuerball kommt immer näher und näher. Das spüre ich. Ich wünschte ich könnte Kalen antworten, doch ich muss mich konzentrieren, bei der Sache bleiben, meine ganze Aufmerksamkeit auf meinen Plan richten. Ich werde hier definitiv nicht sterben! Mit diesem Gedanken schnellt mein Kopf nach oben. Die Hitze knallt mir erbarmungslos entgegen, doch ich bleibe stehen. Ich bleibe stehen, bis ich das Knacken des Feuerballs bereits ganz deutlich hören kann. Es erinnert mich an Feuerholz, welches unter der enormen Hitze nachgibt.
Ein weiterer Wimpernschlag vergeht.
Eine Flamme streichelt meine Nasenspitze, umspielt sie, wie ein Seidentuch.
Das ist der Moment in dem ich zur Seite springe.

Mit voller Wucht prallt der Feuerball gegen die Barriere und lässt sie in tausend kleine, magische Splitter zerbrechen. Sie prasseln auf mich herab und verschwinden. Plötzlich vernehme ich scharfes Lufteinziehen, Ausrufe der Verwunderung, die augenblicklich in aufgeregte Schreie übergehen. Flammen breiten sich aus und nehmen den Raum in Beschlag. Wildes Kreischen erklingt, gefolgt von einem lauten Aufprall.
Ein weiterer Angriff.
Schnell richte ich mich auf und laufe in Richtung des Tumults. Das müssen die anderen Teilnehmer sein. Sie waren die ganze Zeit über hinter der Barriere. Auch wenn sie mir ein wenig leidtun, da ich sie nun in diese Situation mithineinziehe, so kommt mir dieser Andrang an Menschen ziemlich gelegen. Umgeben von einer Menschenmenge ist es leichter unterzutauchen.

Meine Strategie scheint aufzugehen, da die Angriffe nun willkürlicher erfolgen. Sie sind nicht länger nur auf mich gerichtet. Erleichtert sprinte ich weiter durch den Raum, quetsche mich an Magiern vorbei nur um endlich den Ausgang dieses Höllenlochs zu finden und zu verschwinden.
„Agira!", rufe ich, woraufhin mein Artefakt seinen Platz auf meinem Nasenrücken einnimmt und mir ein Bild des puren Chaos eröffnet.
Magier kreischen, schreien, brüllen und rennen panisch umher. Einige von ihnen feuern Zaubersprüche durch die Gegend und hoffen darauf die unbekannten Angreifer zu treffen. Hastig weiche ich ihnen aus und bahne mir meinen Weg durch sie hindurch.
„Verdammt was zum Teufel soll das?!", erklingt eine mir sehr bekannte Stimme in unmittelbarer Reichweite. Abrupt bleibe ich stehen und sehe mich suchend um. Ein blonder Schopf springt mir ins Auge. Kairyan erschafft einen Glaskasten nach dem anderen und versucht so viele Teilnehmer wie möglich unterzubringen. Ich staune nicht schlecht als ich sehe, wie dick die Scheiben sind. Leider sind die Angriffe der Feuermagier zu stark und durchschneiden sie, als wären sie aus Papier. „Kacke! So wird das nichts", ruft Kairyan und schubst einige Magier aus dem Weg, ehe auch er zur Seite hechtet.
Ich stoße genervt die Luft aus und werfe einen Blick in Richtung des Ausgangs. Er ist nur noch wenige hundert Meter entfernt. Ich würde ihn innerhalb weniger Minuten erreichen wenn ich weiterrennen würde, doch aus irgendeinem Grund kann ich mich nicht dazu durchringen. Ich erinnere mich an Kalens Worte, die er an mich richtete, als Kairyan und Arryn sich vor dem gestrigen Festmahl zu uns gesellten.
..Freundschaften, die während solch einer Ausnahmesituation entstehen halten meist auch ein Leben lang..es scheinen deine Idioten zu sein..",

Wütend fahre ich mir übers Gesicht und schlage den Weg in Kairyans Richtung ein. Als sein Blick auf mich fällt scheint er sichtlich erleichtert zu sein. „Emberlein! Gott sei Dank, du lebst noch! Bleib hinter mir. Ich lasse nicht zu, dass dir was passiert", weist er mich an, woraufhin ich die Augen verdrehe. „Du kannst ja nicht einmal auf dich selbst aufpassen, wie willst du dann auch noch jemand anderes schützen können?", entgegne ich genervt, während er eine kreisrunde Glasscheibe vor uns erscheinen lässt, die einen Sturm an Feuerblitzen abwehrt, ehe sie schmelzend auf den Boden zankt.
„Findest du wirklich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für Scherze ist?!", weist er mich fassungslos zurecht, woraufhin ich seinen Arm packe und ihn ein wenig an den Rand des Geschehens schleife. Verdutzt sieht er mich an, während ich mich im Raum umsehe.
Dank den wütenden Flammen erkennt man nun deutlich, dass der Raum eine weitere Ebene besitzt. Über uns befindet sich ein Geländer welches unter normalen Umständen dafür gedacht ist diejenigen zurückzuhalten, die sich von oben das Geschehen ansehen wollen. Zumindest wenn alles mit rechten Dingen abgelaufen wäre. Vermutlich haben sich die Generäle zu Beginn der Etappe ebenfalls hier im Teleportationsraum aufgehalten und uns von dort aus zugesehen, wie wir eingewiesen wurden.
Ohne weiter darüber nachzudenken nutze ich meine Glutleine um Kairyan und mich nach oben zu befördern.

Ein mädchenhafter Schrei entfährt ihm, während ich uns nach oben schwinge. Ich lande auf meinen Füßen wohingegen Kairyan elegant, wie ein Sack Kartoffeln auf dem Boden umherkullert.
„Was zum..Scheiße, kannst du mich nicht vorwarnen?", nörgelt er, während er sich bedröppelt aufrichtet, doch ich schenke ihm keinerlei Beachtung. Ich nutze die Zeit lieber dafür den Ausgang auf dieser Etage ausfindig zu machen.
„Du bist noch am Leben also komm mal wieder auf den Teppich. Außerdem habe ich den Ausgang gefunden, lass uns verschwinden", meine ich, während ich noch immer die Tür auf der anderen Seite des Raumes anvisiere.
„Und was ist mit Arryn? Wir können ihn doch nicht hier zurücklassen", protestiert der Blondschopf und sieht mich entgeistert an.
„Hast du ihn irgendwo gesehen? Ich bin ihm nämlich nicht über den Weg gelaufen. Es besteht eine gute Chance, dass er nicht einmal hier im Raum ist und immer noch im Teleportationskanal festhängt. Wir können nichts für ihn tun. Das muss er selbst hinbekommen", entgegne ich monoton und ernte entrüstetes Schnauben seinerseits.
„Wir können ihn suchen! Von hier oben aus habe ich alles im Blick. Ich bin mir sicher, dass ich ihn finden kann. Selbst wenn er nicht hier sein sollte, wie du vermutest, so haben wir es wenigstens versucht", blafft er wütend.
„Du willst wirklich hier bleiben nur weil die Chance besteht, dass er hier irgendwo in diesem Chaos stecken könnte?", kontere ich mit erhobener Braue. „Natürlich! Und es erschüttert mich, dass du es offensichtlich nicht tun willst. Wenn du dort unten wärst, völlig allein und auf dich gestellt, würdest du doch auch wollen, dass Arryn und ich dir zu Hilfe kommen, oder etwa nicht?!", fragt er aufgebracht und mit erhobenem Finger.
„Nein", entgegne ich knapp und sehe, wie ihm die Kinnlade runterfällt.
„Das kannst du nicht ernst meinen", murmelt er erschrocken.
„Doch, das tue ich. Ich verlasse mich nie auf die Hilfe anderer und wenn dann nur widerwillig weil es keinen anderen Ausweg gibt. Mein ganzes Leben lang war ich allein und auf mich gestellt, habe alles allein meistern müssen, wieso also sollte ich nun meine Einstellung ändern?", frage ich ihn mürrisch und wende meinen Blick ab.
„Weil wir Freunde sind verdammt! Arryn ist dein Freund! Vielleicht irrt er dort unten herum, verletzt und in die Enge getrieben. Kannst du das wirklich mit deinem Gewissen vereinbaren?", brüllt er mir entgegen, während ich wütend meine Brauen zusammenschiebe.
„Sagt derjenige, der einverstanden damit war meinen Lehrmeister zu benutzen nur um mich aus dem Spiel zu nehmen!", kontere ich ebenfalls wütend und balle meine Hände zu Fäusten.
„Das hier ist nicht Teil des Duells! Momentan sind wir keine Konkurrenten sondern Verbündete, die den gleichen Feind zu bekämpfen haben", zischt er mit verengten Augen. „Mir ist egal was du machst aber ich werde wieder da runter gehen und ihn suchen. Und wenn ich dabei draufgehe. Arryn hätte keinen von uns im Stich gelassen"

Mit diesen Worten wirft er mir einen letzten, enttäuschten Blick zu und springt entschlossen in die Tiefe. Mit verengten Augen sehe ich ihm hinterher und lehne mich ans Geländer. Er drängt sich wieder ins Chaos, woraufhin ich ihn kurz darauf aus den Augen verliere.
„Verdammter Idiot! Da rette ich ihm schon das Leben und jetzt springt er freiwillig in den Tod. Was für eine Zeitverschwendung", murmle ich ihm nach, während ich mich abwende.
Wenn du unbedingt sterben willst dann bitte, nur zu Kairyan, doch ich werde hier definitiv nicht draufgehen. Dafür bin ich zu weit gekommen.

Blind FireWhere stories live. Discover now